„Endlich jemand, der´s gemacht hat und er hat´s gut gemacht.“
„Der Film ist allerdings so bombastisch, dass die
Gefahr besteht, dass das Buch verdrängt wird.“
„Der Film ist gut, das Buch natürlich besser.“
(Aussagen von Diskussionteilnehmerinnen und -teilnehmern des Workshops)
Die Macht der Bilder
Wie die Verfilmung unsere Rezeption vom Herrn der Ringe verändert hat
Bericht über eine Diskussionsrunde auf dem dritten Tolkienfest zu Hohensolms im Mai 2004
©Frank Weinreich
Die folgende Seite beschäftigt sich mit der Frage, ob und wie die Verfilmung des HdR von Peter Jackson (oder auch die von Ralph Bakshi, die ebenfalls Bestandteil der Diskussion war und auch als gar nicht so schlecht beurteilt wurde, ähnlich dem Urteil von David Kerr 2003b) sich auf die Rezeption der Bücher auswirkt.
Ich hatte nach 2001 die zweite Gelegenheit, auf einem Tolkienfest auf Burg Hohensolms bei Gießen eine Diskussionsrunde zu leiten, die sich mit dieser Frage auseinandersetzte. Etwa 50 Tolkienfreunde – darunter auch bekannte Tolkienexperten wie der Präsident der Deutschen Tolkiengesellschaft Marcel Bülles, der Mediävist und Herausgeber von Walking Tree Publishers Prof. Thomas Honegger oder der Autor Friedhelm Schneidewind – trafen sich auf meine Einladung im Rahmen des Festes, um sich darüber zu unterhalten, welche Bedeutung dieser so erfolgreiche Film (es gab etwa 3 Milliarden Kinogänger in allen drei Teilen, zu dem Zeitpunkt, da ich dies aufschreibe) für die literarische Grundlage hat.
Um eines gleich vorweg zu nehmen: Auch wenn die Filme einiges an Kritik einstecken mussten, war die überwältigende Meinung, dass es trotz aller möglicher Streitpunkte klasse Filme sind und dass man es wohl nicht besser hätte machen können. Dafür, dass Jackson es gewagt hat, blieb ausnahmslos Lob und keiner lehnte die Filme dermaßen ab, dass er oder sie gesagt hätte, dass es besser gewesen sei, sie nicht zu machen.
I
Nach einer kurzen Einführung meinerseits entspann sich eine sehr eindringlich geführte Diskussion, deren wichtigste Äußerungen ich hier zusammenfasse. Neben der Diskussion habe ich auch wieder eine Kartenabfrage durchgeführt und Karteikarten ausgeteilt, auf denen ich darum bat, kurz und prägnant die persönliche Meinung zu der Frage aufzuschreiben, was für oder gegen die Verfilmung Jacksons spreche. Die Aussagen sind auf jener Seite wörtlich wiedergegeben.
Mir ganz persönlich ging es dabei in erster Linie um die Frage, ob die Visualisierung nicht eine Einschränkung der Phantasie und der Interpretationsmöglichkeiten nach sich zieht, doch die Diskussion zog dann sehr viel weitere Kreise, ohne jedoch jemals dieses Thema gänzlich zu verlassen. Damit will ich ausdrücken, dass der Film das Buch interpretiert und durch die Bilder, die er darstellt, in der Tat mehr sagt als tausend Worte, dass dieses Mehr aber auch ein Problem sein kann, weil es eine Sichtweise visuell zementiert, die im Kopf des Einzelnen in anderer Form nicht oder nur schwer noch entstehen kann.
II
Man kann Jackson sicherlich nicht vorwerfen, dass er sich nicht eindringlich mit Tolkiens Werk beschäftigt hat. In der Diskussion wurde er einmal vielleicht nicht ganz unzutreffend als treuester Fan Tolkiens bezeichnet. Da steckt viel Fleiß in den Filmen und was man Jackson wohl nicht anlasten kann, ist, dass die Darstellungen, die Auswahl der Schauspieler und das notgedrungen von der Vorlage abweichende Drehbuch dem Einen vielleicht wegen eines Schauspielers aufstoßen, den man für schlecht gecastet hält oder der Anderen nicht gefallen, weil die Gewandung unelbisch wirkt. Das sind individuelle Kritikpunkte, die unvermeidbar sind! Wollte man die betonen, bliebe nur, jegliche Verfilmung pauschal zu verbieten.
Um einzelne Kritikpunkte geht es aber eben auch gar nicht, obwohl die im Folgenden Bestandteil der Diskussion waren (aber dann auch nicht so hoch gehängt wurden – man billigte Jackson eine ganze Menge zu). Mir ging es einführend um den ganz anderen Aspekt, den Misospectator als Anschlag auf die Phantasie bezeichnet: Die Bilder gewinnen auch meiner ganz persönlichen Erfahrung nach Macht über das Buch und verdrängen die Bilder, die meine Phantasie sich vor den Filmen ausgemalt hat. Dadurch verliere ich das, was ich im Gedicht als „´was Eignes“ bezeichnet habe.
Beispiele dafür sind etwa Personen wie Aragorn, Boromir, Frodo aber auch Orte wie Orthanc oder Helms Klamm. Lese ich heute, relativ kurze Zeit nach dem Filmerlebnis aber 25 Jahre nach der ersten Lektüre, von Aragorn oder Boromir, so sehe ich Viggo Mortensen und Sean Bean, die Darsteller vor mir. Das ist auch OK, denn beide sind genau richtig besetzt und spielen völlig überzeugend. Aber ich sehe, wenn ich den Namen Frodo lese, Elijah Wood vor mir, was weniger schön ist, denn ich halte ihn in dieser Rolle für komplett fehl besetzt und für sehr schwach in der schauspielerischen Leistung (mit soviel Gejammer wäre Frodo nicht über die Barrow Downs hinaus gekommen). Trotzdem hat Frodo für mich jetzt das Gesicht von Elijah Wood – schade! Ähnlich geht es mit den Locations: Orthanc / Isengart habe ich mir genau so vorgestellt und die Vorstellung ist jetzt nur noch dankenswerterweise präzisiert worden. Helms Klamm habe ich mir ganz anders vorgestellt, doch dies innere Bild ist nun verloren gegangen und verdrängt – wiederum: schade!
Ohne also unbedingt darüber diskutieren zu müssen, ob es Qualitätsprobleme mit Jacksons Verfilmung und seiner Art Tolkien zu interpretieren gibt, kann meiner Meinung nach festgehalten werden, dass die explizite Visualisierung Bewegungsspielräume einengt. Die vielleicht diffusere – aber auf jeden Fall individuelle – Aneignung Mittelerdes durch die Lektüre von Büchern wird damit eingeschränkt, eventuell sogar verhindert.
Soweit die Einführung, an die sich die folgende Diskussion anschloss.
III
Zunächst gab es eine ganze Reihe von Widersprüchen zu meiner These, dass die Verfilmung die Phantasie einschränke. Interessant war besonders die mehrfach geäußerte Auffassung, dass Einige Buch und Film im Kopf als Verschiedenes völlig auseinander halten können und so keinerlei Einbußen bei der jetzigen Lektüre nach dem Filmerlebnis fühlten, sondern ihn neutral sahen oder als Bereicherung empfanden. Buch und Film ergänzten sich für Viele zu einer neuen, als bereichernd empfundenen, Gesamtsicht des HdR oder wurden auch als distinkt erlebt (dazu unten mehr), wurden aber auch dann noch, sozusagen zweifach, genussvoll rezipiert.
Fazit für Einige war, dass der Film – oder ein Film überhaupt – gar nicht in der Lage sei, die Bilder im Kopf zu zerstören, dass also die individuelle Aneignung durch Lektüre nicht gefährdet sei und jedem ‚`was Eignes‘ bleibe. Andere sagten, sie bauten im Kopf stimmige oder in der Lektüre unklar gebliebene Bilder von Personen oder Orten ein, während andere klare Bilder von der Lektüre durch die Bilder des Films nicht beeinflusst werden konnten.
Einige Personen drückten allerdings auch aus, dass es ihnen ähnlich wie mir ergehe und sie von Jacksons Bildern überwältigt worden seien, die die vorher in der eigenen Imagination entstandenen unterdrückten. Das kann störend und die Phantasie einschränkend sein, muss es aber nicht, da einige die neuen Bilder auch willkommen hießen. Wo die „Macht der Bilder“ – und an dieser Stelle wurde der Ausdruck klar expliziert und bis in Zusammenhänge mit Leni Riefenstahls Nazipropagandafilm „Triumph des Willens“ gebracht – allerdings negativ empfunden wurde, wurde der Ton pessimistisch. So wurde die Ansicht vertreten, dass diese Macht dazu führe, Worte ihre Wirkung verlieren zu lassen, dass sie den Zugang zu den Büchern verhindere oder dass Bilder Macht und Worte Magie seien, dass die Magie nun von der Macht verdrängt werde und es so fast zu einer Ironie des Schicksals in Form der Spiegelung von Tolkiens Ansichten komme, der die Magie Mittelerdes ja auch der Macht der Moderne entgegengesetzt habe. Der letzte Punkt fand, trotz einer wie ich meine berührenden Poesie dieser Sichtweise, allerdings deutlichen Widerspruch und wurde hauptsächlich als übertriebene Pointierung abgelehnt.
Meinem Eindruck nach überwogen diejenigen Diskutanten, die den Film als Bereicherung und als ungefährlich für die Entfaltung der Phantasie ansahen zahlenmäßig jene, die meine Empfindung teilten. In diesem Zusammenhang der Auswirkung der Visualisierung auf die Lektüre hieß es dann auch mehrfach, dass die Verfilmung eine bereichernde Interpretationsweise sei, der man sich nun nicht unbedingt und sicherlich nicht in allen Punkten anschließe, die man aber wenigstens gelten lassen müsse und bestenfalls als eine frische Sichtweise auf das Werk erleben könne. Auf jeden Fall, so betonten Mehrere, komme im Film die große Werkkenntnis aber vor allem die Liebe Jacksons zu Tolkiens Universum zum Ausdruck. Die frische Sichtweise, so hieß es auch, unterhalte nicht nur, sondern verbessere und erleichtere auch den Werkzugang.
Den Zugang zu den Büchern zu verbessern, zu erleichtern, neue Leser zu erschließen und damit der Fantasy als literarischer Gattung überhaupt ein besseres Ansehen und neue Fans zu verschaffen, wurde fast einhellig als ein positiver Effekt der Verfilmung betont. An dieser Stelle kam dann auch die Sprache auf die fast einhellig als überaus hoch angesehene Qualität der Filme Jacksons, die in Detailfragen sicherlich umstritten ist, jedoch beispielsweise gegenüber der Verfilmung von Bakshi deutlich höher angesiedelt wurde, dessen seinerzeit durchaus innovative Realfilm-Zeichentrickkombination einen derartigen Effekt nicht erreichte (sicherlich auch, weil sie nicht zu Ende geführt werden konnte).
Es wurde sodann mehrfach die Erwartung geäußert, dass die Filme die Lektüre lesefauleren Menschen und bildungsferneren Schichten erleichtere. Diese Ansicht fand aber auch Widerspruch, da erstens angezweifelt wurde, dass der Film dies vermöge und zweitens die entgegengesetzte Vermutung aufkam, dass Viele sich eventuell sagen könnten: ‚Wozu noch die Bücher lesen, wenn ich doch den Film kenne.‘ Diese Gefahr bestehe insbesondere, da die Verfilmung wenig oder gar keine Anhaltspunkte gebe, dass der HdR schließlich in den größeren Kontext eines ganzen Universums und einer Weltgeschichte eingebettet sei – dies einer der stärksten inhaltlichen Kritikpunkte an Jackson. Der Effekt, dass der Film so stark im Vordergrund steht, führte nach Meinung Einiger bis zu der Warnung, dass der Name Tolkiens als Urheber Mittelerdes in Vergessenheit geraten könnte.
Die Diskussion führte nun dahin, die Differenz von Buch und Film zu betonen. Meiner Kritik an der Verfilmung wurde auch entgegengehalten, dass ich und viele andere Kritiker nicht ausreichend zwischen Buch und Film differenzierten. Erstens wurde in diesem Zusammenhang wiederholt, dass es sich bei der filmischen Umsetzung um eine legitime Interpretation handele, die, wenn sie denn nicht gerade absichtlich verfälsche – was sie nicht tue -, eine Sichtweise neben anderen möglichen sei.
Die mögliche Differenzierung wurde aber zweitens besonders da deutlich, wo ein Diskutant betonte, dass es sich eigentlich um zwei Geschichten handele und er Buch und Film als völlig eigenständig erlebe.
Diese Formulierung fand eine Menge Zustimmung durch Andere, die angaben, dies in ähnlicher Weise zu erleben. Es erfolgte zu dem ein Seitenhieb auf die mehr oder weniger professionelle Filmkritik der (unter Umständen selbsternannten) Literaten, die Filme durchweg als etwas Niederes ansähen und deshalb Verfilmungen von Büchern grundsätzlich voreingenommen gegenüberträten. Dem schlössen sich dann, so eine Vermutung, viele Tolkienleser fast zwanghaft an: Kritik muss dann eben sein, um den Kritiker dazu gehören zu lassen (zu den ‚edlen‘ Literaten).
IV
Insgesamt war der Eindruck der Diskussion bis hierhin von einer mehrheitlich positiven Haltung gegenüber Jacksons Filmen bestimmt. Ich schätze, dass ungefähr zwei Drittel der Anwesenden meine Befürchtungen bezüglich der Einschränkung der Phantasie unbegründet fanden und dass mehr noch davon überzeugt waren, dass die Filme dazu dienen werden, das Werk Tolkiens weiteren Kreisen bekannt zu machen und dass sie zum Lesen der Bücher animieren werden. Durchweg kritisch wurden jedoch die Begleiterscheinungen des Medienspektakels rund um die Filme gesehen.
In der Diskussion und noch mehr in den schriftlichen Äußerungen wurden vor allem die Ausmaße des Merchandising ins Visier genommen. Der Tenor war jedoch meinem Empfinden nach eher der einer verhaltenen Ärgerlichkeit. Denn für Alle schien klar zu sein, dass eine moderne Verfilmung in erster Linie eine kaufmännische Entscheidung ist, die sich wirtschaftlich lohnen muss und die, wenn sie sich denn als lohnend erwiesen hat, dann auch weitergemolken wird, bis noch der letzte Cent aus der letzten Elijah Wood-Windel (Entschuldigung) gepresst worden ist.
Was wohl am meisten am Merchandising stört, ist die Trivialisierung des Stoffes durch die Entfremdung seiner Protagonisten in andere Zusammenhänge. So ist das Nachstellen der Schlacht von Helms Klamm mittels Table Top-Figuren von Games Workshop noch ganz OK – was auch heißt, dass es OK ist, die Figuren herzustellen, zu verkaufen und für sie Werbung zu machen. Hier scheint noch eine gewisse Werktreue zu bestehen (obwohl auch bei Games Workshop Elben in Helms Klamm auftauchen:-(. Die Entfremdung setzt aber spätestens da ein, wo der HdR über Trading Cards in den Kelloggs ins Frühstück eingeführt wird oder als Ü-Ei reüssiert. Hier bestehen keinerlei Berührungspunkte mehr mit Tolkien, ja der Name des Autors findet nirgendwo Erwähnung, er wird zu Gunsten des bekannten LotR- oder HdR-Schriftzuges der Designer von Warner Brothers völlig unterdrückt (was eigentlich besser ist, denn Tolkiens Name auf Ü-Eiern zu sehen, hätte ich noch schlimmer gefunden).
Ebenfalls wurde negativ angemerkt, dass die Verfilmung nach außen den Eindruck einer Verflachung des HdR bewirke. Mehrere Personen erzählten, dass sie seit der Aufregung um den Film gezwungen sein, ihr Interesse für Tolkien oder ihr Fandom im Bekanntenkreis vermehrt zu verteidigen beziehungsweise zu rechtfertigen. Es wurde beobachtet, dass die üblichen Vorwürfe (von im Werke oftmals eher unbelesenen Kritikern), die Beschäftigung mit Fantasy sei kindisch oder ein Ausdruck von Realitätsflucht, zunehme. Das wurde auch damit begründet, dass die notwendige Abnahme an inhaltlicher Tiefe bei der zwölfstündigen Verfilmung eines so gehaltvollen Tausend-Seiten-Werkes in der ahnungsloseren Öffentlichkeit dazu führe, das Werk nicht in seiner Fülle wahrnehmen zu können. In diesem Zusammenhang wurde in der Kartenabfrage ein paar Mal angemerkt, dass der Hype um die Verfilmung auch dazu geführt habe, dass man als Tolkienfan „nicht mehr unter sich“ sei und es wurde die Hoffnung geäußert, dass sich dies nun bald ändern werde. Diese Einstellung finde ich persönlich jedoch ein bisschen zu snobistisch – Jedem/Jeder seine Sichtweise (schon damit ich weiter über Wood lästern darf:-)). Ich schließe mich jedoch der Meinung an, dass die öffentliche Darstellung des Films – insbesondere im Zuge des Oscar-Triumphes von 2004 – ganz stark vom Autoren ablenkt. Und das ist schade, denn: he´s the one who brought us all together.
In diesem Sinne: Schön dass es die Filme gibt, aber „das Buch [ist] natürlich besser“!
Mein Dank gilt allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern an der Diskussion sowie dem Organisationskomitee des Tolkien-Festes – ganz besonders Astrid und Uwe Reisewitz aka Sannyu und AuleSan -, die mir die Möglichkeit gaben, mich mit Euch zu diesem Thema auszutauschen.