Die Verfilmung Peter Jacksons
Teil I

© Frank Weinreich

Die meisten werden jetzt den Film gesehen haben – viele von Euch werden die Bücher sowieso kennen. Deshalb spare ich es mir, auf Einzelheiten der Verfilmung einzugehen, sondern möchte einfach mal eine pauschale Einschätzung abgeben.

Ich habe mich verschiedentlich skeptisch über die Möglichkeiten der Verfilmung von einem Stoff wie dem von Der Herr der Ringe geäußert und zitiere ja auch immer gerne Tolkien selbst, der in On Fairy Stories schreibt: „Drama is naturally hostile to Fantasy. Fantasy, even of the simplest kind, hardly ever succeeds in Drama, when that is presented as it should be, visibly and audibly acted“ (p. 47).

 

Aber was Peter Jackson hier geschaffen überzeugt mich!

( Bilder von einem Herr-der-Ringe-Diorama ausgebauten Auto, das ich 2007 auf der RingCon in Fulda fotografieren konnte.)

Sicherlich habe ich meine Kritikpunkte – da passt mir der eine Schauspieler nicht so ganz, da finde ich die eine Kürzung unangemessen und den anderen Einschub unpassend – aber Jackson hat den Geist der Geschichte völlig richtig erfasst und ihn so gut umgesetzt wie dies mit den begrenzten Mitteln des Filmes möglich ist (begrenzt im Vergleich zu den unbegrenzten Möglichkeiten unserer Fantasie). Und deshalb sage ich, dass das Produkt mich überzeugt, andere Kleinigkeiten hin oder her. Und ich habe keinen Grund, daran zu zweifeln, dass die beiden noch folgenden Teile ebenso gut werden.

Und wie kann das, wo doch der Regisseur eines Filmes mit seiner Umsetzung radikal über die persönlichen Eindrücke von Personen und Orten hinwegbügelt, indem er uns Bilder vorsetzt, die sich in diktatorischer Manier vor unsere inneren Bilder zu schieben drohen, die wir uns bei der Lektüre gemacht hatten? Schließlich haben wir alle eigene Bilder von Frodo, Gandalf, Bruchtal und dem Orthanc in unserem Kopf und kriegen auf der Leinwand doch nur die Bilder präsentiert, die der Regisseur von Frodo, Gandalf, Bruchtal und dem Orthanc in seinem Kopf hatte. Das war nämlich der Hauptgrund meiner Skepsis – wie würde sich der Film mit meinen Vorstellungen vertragen?

Es gibt ja auch Leute, die sich den Film aus genau diesem Grund nie ansehen wollen. Und die kann ich gut verstehen, denn es besteht eben die Gefahr, von den Bildern überfahren zuwerden: „LOTR is a toroughly visual work, so anyone attempting to put the words into images will always displease someone“ (Veugen 2005, 191). Jackson hat dies aber offenbar mitbedacht und das Beste daraus gemacht. So fand er zum Beispiel Schauspieler, die ihre Rollen größtenteils leben. Sicher wird sich niemand einen Gandalf mit der exakten Physiognomie von Sir Ian McKellen vorgestellt haben – aber McKellen wird zu Gandalf in den Szenen, in denen er ihn verkörpert, das spürt man an seinem Schauspiel und das überträgt sich ins Parkett. Oder die Elben. Menschen sind keine Elben – also können sie sie auch nicht realistisch darstellen (man hätte schon wie in „Shrek“ Elben am Rechner zeichnen müssen, aber das wäre auch nicht authentisch geworden).

Doch Menschen können das elbische Wesen in ihrem Spiel zeigen und das tun sie meiner Meinung nach, besonders in der Person Legolas´ oder wenn Cate Blanchett für Augenblicke zur bösen Herrscherin wird (mit Computerunterstützung – okay, Einspruch stattgegeben). Oder nehmen wir Sam. Er hat seine großen Szenen natürlich erst im zweiten und dritten Teil – aber die Art und Weise wie der Schauspieler Sam stur in den Anduin laufen lässt, egal was dabei aus ihm werden wird, das ist der Sam, so wie ihn sich Zolkien gedacht hat. Und dann macht es überhaupt nichts, dass diese Szene im Buch anders geschildert wird. Im Buch zeigt der Dialog die Liebe Sams zu seinem Herrn und vice versa – im Film zeigen die Bilder genau das Gleiche! Das ist auch völlig okay – schließlich erzählt Film primär mit visuellen Mitteln. Also darf Film auch inhaltlich abweichen, solange er dem Geist der Vorlage treu bleibt.

Werktreue aber ist vorhanden! Marcel Bülles, der Vorsitzende der Tolkiengesellschaft hat in einer ersten Rezension geschrieben, der Film habe nichts mit dem Buch zu tun (es sei aber ein verdammt geiler Film). Dass es ein verdammt geiler Film ist, finde ich auch, aber das er wenig mit dem Buch zu tun habe sehe ich gar nicht. Sicher ist vieles anders, vor allem ist vieles gestrichen. wie auch anders: „The problem with any adaptation of LOTR is that the story has to be condensed“ (Veugen 2005, 191). Die Geschichte geht viel schneller los als im Buch, die faszinierende Episode mit Tom Bombadil fehlt ganz und dass Natur auch bedrohlich ist, ohne gleich Sauron anzugehören, kommt nicht rüber, weil auf den alten Weidenmann verzichtet wird. Des Weiteren stimmen Personen oder ihre Handlungen nicht mit der Vorlage überein. Natürlich passt nicht Arwen die Gefährten ab, sondern Glorfindel, der Frodo zudem alleine aufs Pferd setzt. Auch Dialog und Kampf zwischen Saruman und Gandalf kommen so nicht vor. Das heißt aber nicht zwangsläufig, dass es nicht stimmt. Darauf komme ich gleich zurück.

Man kann den HdR nicht Eins zu Eins filmisch umsetzen und gleichzeitig einen sehbaren Film zurückbehalten. Das Buch erlaubt Jedem ein eigenes Vorgehen, eine eigene Aneignungsgeschwindigkeit. Der Film nimmt auf die Zuschauerinnen und Zuschauer zunächst keine Rücksicht, er läuft einfach ab. Das wäre bei einer ‚Eins zu Eins‘-Umsetzung im Falle des HdR tödlich fürs Zusehen. Also muss der Regisseur eingreifen und sich für eine Strukturierung entscheiden. (Das muss er natürlich auch aus Kostengründen tun.) Für Jackson hieß dies zum einen Kürzen und neue Anschlüsse zwischen den Streichungen schaffen. Zum anderen hat der Film andere Erzählmöglichkeiten als das Buch. Das Buch besteht ’nur‘ aus Wörtern. Der Film ist zwar (s.o.) diktatorisch gegenüber der Fantasie, aber er kann die Sinne auch anders ansprechen und das Geschriebene anders darstellen, indem er es zeigt und zu Wort und Musik kommen lässt. Ja ich finde, er muss diese Möglichkeiten auch kreativ nutzen, denn das Buch mit der Kamera abzuschreiben, hätte man sich auch sparen können. Jackson schreibt aber nicht ab, er interpretiert und er interpretiert gut.

Was aber meine ich, wenn ich sage, dass die Änderungen – selbst ein gravierender Eingriff wie der mit Arwen – nicht bedeuten, dass die Gechichte oder einzelne Episode nicht stimmt? Das heißt, dass der Geist der Erzählung im Großen und Ganzen erhalten bleibt und zudem durchgängig werkgetreu wiedergegeben wird (wenn auch unter Verschiebung von Schwerpunkten, etwa hin zu Schlachten und Kämpfen und weg von ruhigeren, aber tiefsinnigen Gesprächspassagen, die die Ausgewogenheit des Werkes gerade in Fragen der Wertigkeit von Gewalt zu unterminieren droht, vgl. bspw. v.d. Bergh 2005, Kap. 5). Und das ist schließlich die Aufgabe einer Interpretation. Das erreicht Jackson dadurch, dass er die Charakteristika der Personen und der Völker sinngemäß immer auch dann richtig darstellt, wenn er vom Buchstaben der Vorlage abweicht.

Viele Worte, die das Drehbuch beispielsweise Boromir in den Mund legt, sind neu erfunden – aber sie dienen doch nur dazu, die Zerrissenheit des Charakters im Kontext der jeweiligen Bilder darzustellen (z.B. als Frodo auf dem Caradhras den Ring verliert). Das Gleiche gilt für die schon erwähnte Szene mit Sam und Frodo an den Fällen des Rauros. Das hat Tolkien anders – nämlich viel undramatischer – geschildert. Aber Tolkien hat auch viele Seiten Zeit, das Verhältnis von Sam und Frodo in verschiedenen Szenen und Situationen zu schildern. Der Film muss da punktuell deutlicher werden, schließlich wird hier der Grund dafür bereitet, dass die Zuschauerinnen und Zuschauer Sam in den nächsten beiden Teilen abnehmen, dass er sich für seinen Herrn in Liebe nahezu aufopfert. Schließlich wird die Handlung und die Erzählgeschwindigkeit noch deutlich zunehmen müssen, um die sich überschlagenden Ereignisse abzubilden. Außerdem werden die wichtigsten Passagen aus dem Buch von Jackson zielsicher beibehalten. Schlüsselsätze wie der Dialog zwischen Gandalf und Frodo über Gollum („Manche, die sterben verdienen das Leben – kannst du es ihnen geben?“) werden dankenswerterweise korrekt zitiert und reichen an ihren Stellen dann auch aus, um das zu erzählen, was Tolkien erzählen wollte.

Ja, es ist ein wirklich guter Film. Ich denke Jackson übertreibt, wenn er unterstellt, dass Tolkien zufrieden sein würde, denn das muss ungewiss bleiben. Aber er wird dem Buch gerecht und das war in dieser Form nicht zu erwarten. Es ist nicht alles perfekt – sicher. So ist etwa Elronds Rat nicht gut umgesetzt, weil sich die Komplexität der Situation nicht angemessen erschließt. Aber das sind Schönheitsfehler, keine Kritikpunkte, die den Wert des Filmes insgesamt in Frage stellen. Ich hoffe, dass viele von Euch dies ähnlich sehen. Die Diskussionen unter Fans des HdR lassen nämlich befürchten, dass die Kritik oftmals zu scharf ausfallen wird. Es gibt ein paar Fehler – aber aus denen sollte man dem Film keinen Strick drehen. Wer aus prinzipiellen Gründen gegen eine Verfilmung ist – Hut ab, völlig okay! Aber diejenigen gehen eh´ nicht rein und lassen sich hoffentlich durch die Tatsache, dass es ihn gibt, nicht all zu sehr stören.

Ihr alle, die Ihr ihn gesehen habt – lasst ihm Gerechtigkeit widerfahren.
War es denn nicht ein ganz toller Film?


 

 

Nachtrag:

Da ich den Film drei Wochen später noch ein weiteres Mal im Kino gesehen habe – was auch nicht das letzte Mal gewesen sein dürfte – möchte ich noch den kleinen Nachtrag machen, dass der Film beim zweiten Anschauen noch besser ist. Dadurch das man weiß, was auf einen zukommt und einem die Bilder nicht mehr so sehr den Atem rauben, kann man sich besser auf Eindrücke und Details konzentrieren. Und der erste eindruck bestätigt sich, dass die Umsetzung den Geist der Bücher wirklich einfängt. Insbesondere wird deutlich, dass Jackson eine wirklich adäquate Besetzung hingekriegt hat. Selbst die Elben überzeugen mich jetzt – besonders Elrond – und bei der größeren Muße des zweiten Schauens registriert man erst richtig, was für eine große schauspielerische Leistung Sir Ian McKellen und Ian Holm da hinlegen. Ja -ein zweiter Besuch ist definitiv angesagt! Und zwar ist das Kino Pflicht für all jene, die einen Fernseher mit weniger als 150cm Bildschirmdiagonale haben.

Noch´n Nachtrag:

Jetzt habe ich den Film dreimal gesehen und begeistere mich immer mehr. Aber auf dem Tolkienfest II vom 8.-10. Februar auf Burg Hohemsolms war ich einer der Leute, die den Film am wenigsten kannten. Dreimal angesehen? Der Durchschnitt muss bei den Anderen so eher bei 5-7mal gelegen haben und einige sahen den Film seit dem 19.12. kontinuierlich mindestens einmal pro Woche. Und auf der RingCon 2002, traf ich Leute, die den Film nach nunmehr einem Jahr über hundert Mal gesehen hatten, während der Durchschnitt auch zwischen 10 und 20 Besuchen gelegen haben muss (Ich hab´s jetzt auf 4mal Kino, einmal DVD normal und einmal DVD extended edition gebracht – ich weiß, ich hab´ echt keine Ahnung von dem Film). Mein Gott PJ, was hast Du da bloß angerichtet?

Nachtrag zur Extended Edition des 1. Films

Eigentlich unerklärlich, warum nicht diese Version in die Kinos kam. (Ich weiß, es hatte Marketinggründe: keiner der Werbefuzzis glaubte, dass ein Film von bald vier Stunden Länge erfolgreich sein könne) Jetzt sind Szenen und vor allem Gespräche enthalten, die nicht nur eine noch größere Nähe zum Buch gewährleisten, sondern auch einiges verständlicher machen, was vorher im Dunkeln blieb. So zum Beispiel die zunächst merkwürdige Wandlung des Verhältnisses von Aragorn und Boromir (erst heißt es „Gondor braucht keinen König“, dann sagt er „Ich wäre Dir gefolgt mein König“). Außerdem gibt es eine ganze Reihe von stimmungsvollen Szenen mehr und die beiden DVDs mit den Specials sind ein ganz besonderer Leckerbissen. Allein die Geschichten rund ums Casting sind so lustig, dass man manchmal aus dem Lachen nicht mehr raus kommt!

Literaturtipp: eine interessante Analyse der Filmentstehung steht bei Greg Wright: Peter Jackson in Perspective (Wright 2004).

(Bochum 12/´02)