Neun Freunde und der Ring der Macht
Teil II
© Frank Weinreich
Der erste Teil ist hier zu finden und endete mitten in Elronds Rat. Mit Verspätung betrat Boromir die Szene, nachdem Elrond die acht Gefährten schon mit dem Auftrag betraut hatte, den Ring wegzuschaffen – was mit ihm geschehen sollte, hatte selbst der langmütige Elbenfürst angesichts der vorangegangenen, ihn leicht verstörenden Diskussion nicht bestimmen wollen. Wir erinnern uns, liebe Kinder, es ging darum, ob der Ring zerstört werden sollte oder ob er den rechtmäßigen Weg alles Verlorenen zu gehen hätte – ins Fundbüro. In dem Moment, als dies n i c h t entschieden wird, betritt Boromir, der Leiter des Fundbüros von Gondor, die Szenerie in Rivendell…
I
Elronds Rat hatte fast zu einem Aufruhr geführt als den Anwesenden die Bedeutung der Frage bewusst geworden war, die sie zu entscheiden hatten. Es ging schließlich um nicht weniger als um das Schicksal Mittelerdes, das mit dem von Saurons Ring auf das Engste verbunden sein würde, verlieh dieser Ring doch seinem Erschaffer nahezu unbeschränkte Macht, die – soviel war den Weisen schon klar – kein anderer für sich würde beanspruchen können, ohne von ihr korrumpiert zu werden.
Zur Diskussion standen nun am Ende des Ratsgesprächs im Wesentlichen zwei Alternativen. Nur zwei Alternativen, da eine dritte Möglichkeit – hierbleiben und dann ein vorgezogenes Mittagmahl auf Wunsch der anwesenden Hobbits – erkennbar nichts zur Lösung des Ringproblems beitragen würde. Die eine Lösung war, den Ring in den Feuern zu vernichten, in denen er geschmiedet worden war. Sie fand breite Unterstützung seitens der Meisten. Die zweite Lösung, die zunächst nur von Gandalf vertreten worden war, lautete, den Ring ins Fundbüro von Gondor zu bringen und alles darauf zu setzen, dass Sauron bei dem Versuch, seinen Anspruch auf den Ring gegenüber einem echten Verwaltungsbeamten zu begründen, entweder verhungern würde oder verhaftet werden könnte. Die anderen Anwesenden hegten – wohl nicht ganz zu Unrecht – berechtigte Zweifel, an den Gelingensmöglichkeiten dieses … ääh … Planes.
Des Weiteren bestand eine gewisse Uneinigkeit darüber, wer denn nun aufbrechen sollte, den Ring seiner wie auch immer gearteten Bestimmung zuzuführen. Insbesondere die von interessierten weiblichen Kreisen aufgebrachte Idee, dass nicht nur alle freien Völker Mittelerdes an der Mission beteiligt sein müssten, sondern dass es nur gerecht sei, jeglichen Posten paritätisch mit Männern und mit Frauen zu besetzen, bedurfte noch einer gewissen Eingewöhnungsphase seitens der – nun ja, der Moderne weniger flexibel gegenüberstehenden … öh, Weisen.
Diese Situation wurde nun dem später hinzugekommenen Gondorianer dargestellt. Ein selbstsicheres Lächeln spielte um Boromirs Mund als er die Situation erfasst hatte. Er sprach mit lauter Stimme:
„Nun denn so hört mich an Ihr Weisen und Edlen, denn es scheint, dass ich gerade zur rechten Zeit eintreffe. Seit hundertzehn Tagen bin ich alleine unterwegs, um als Botschafter zu Elrond zu stoßen. Ich suche nicht Verbündete im Krieg. Vielmehr war es mir als ob eine höhere Macht mich schicke. Denn, höret, dass ich als ich nach der Rückeroberung der Ruinen von Osgiliath ein Pfeifchen rauchte, ich eine Art Tagtraum hatte. In diesem Traum war mir als ob der östliche Himmel sich verdunkele, doch stand im Westen noch ein bleiches Licht und eine herrische Stimme rief:
„Den uneinigen Rat sollst du suchen,
in Imladris Zwietracht er macht,
dort sollst du mahnen, nicht fluchen,
zu brechen die Morgul-Macht.
Von Deinem Beruf sollst Du künden,
das Ende steht schon bevor,
am Ring sollt Ihr Euch nicht versünd´gen
einer tritt bald durch Gondors Tor.“
„Strike“, brüllte da plötzlich eine verzückte Stimme von hinten und jeder, der sich umsah, konnte Gandalf eine Mischung aus Freuden- und Kriegstanz aufführen sehen, „Ich hab´ es doch gleich gesagt – wir gehen nach Gondor, wir gehen nach …“
„Immer mit der Ruhe“, warf Aragorn da ein, „wenn ich Pfeifenkraut rauche, habe ich manchmal auch seltsame Träume. Das hat gar nichts zu bedeuten und ist sowieso ungesund.“
„Hömma, Jungchen … vorsichtig!“ meldete sich Boromir da erbost zu Wort. „Wer ist das überhaupt, und was hat er mit Minas Tirith zu schaffen?“, fragte er in die Runde, Aragorn selbst dabei demonstrativ übergehend.
„Das, mein unbekannter und wenig freundlicher Gast“, sagte Elrond, dem schon wieder die Zornesadern zu schwellen begannen, „das ist Aragorn, Arathorns Sohn, der Träger des kaputten Schwertes von Elendil.“
„Träger des …“, Boromir konnte ein Grinsen kaum unterdrücken, „Okay, mach weiter. Warum also sollten wir meiner Eingebung nicht folgen? Der Traum ist doch eindeutig. Ihr seid der unieinige Rat, der meine Mahnungen erhören soll – und die Mahnung lautet: hört auf meine Berufung als Chef des Fundbüros und gebt mir, was Sauron verlor.“
„Klar“, warf Aragorn ein, „und der tritt dann durch Gondors Tor, nicht wahr? Bloß hat er dann alle Armeen Mordors am Hacken kleben und was kommt dann? Ein Friedenspfeifchen?“
„Aus“, schnitt Elronds Stimme in den anhebenden Streit zwischen den beiden Recken, „soweit waren wir gerade schon und haben die Entscheidung auf die Gefährtinnen und Gefährten übertragen, die sie gefälligst auf ihrem Weg treffen mögen. Doch es scheint, als hätte die Gruppe Zuwachs erfahren, denn Boromir muss unbedingt mitgehen. Ich schicke hiermit Frodo und Rosie, Pippin und Diamond als Vertreter der Hobbits, Gandalf für die Zauberer, Martha für die Zwerge, Aragorn und Boromir für die Menschen und Legolas für die Elben auf den Weg.“ Als er Legolas erwähnte entging ihm, das Arwen im Hintergrund mit jemandem tuschelte, der hinter einer Säule verborgen stand, und so fuhr er fort, „Damit seid Ihr also die Neun, die gegen die Neun auf Seiten des Bösen antreten werden und Ihr sollt bekannt werden als die … ääh … als die Neun, als die guten Neun.“
Aufkommenden Protest von Arwen, Martha und Rosie beiseite wischend schloss Elrond die Versammlung und die mehr oder weniger freiwilligen Gefährten machten sich daran, die Siebensachen für die Reise zu packen.
II
Am nächsten Morgen traf sich die Gruppe vor den Toren von Elronds Heimstatt – doch Legolas fehlte. Wo war er geblieben? Statt seiner kamen Glorfindel und Arwen in den Hof gelaufen und der Elb berichtete atemlos, dass man Legolas mit einer schweren Gehirnerschütterung in seinem Gemach gefunden habe, wo ein Unbekannter ihn niedergestreckt haben musste. „Wir konnten ihn aufwecken, doch er ist noch völlig benommen und kann auf keinen Fall mit auf die beschwerliche Reise kommen.“
„Glücklicherweise jedoch“, unterbrach Arwen ihn, „habe ich mich gerade für eine ausgedehntere Jagd fertig gemacht und kann mich den Gefährten deshalb ohne Verzögerung anschließen, so dass die Elben trotz dieses Unglücks eine würdige Vertreterin haben werden. Lasst uns aufbrechen, Legolas wird schon wieder gesunden und Vater wird sich … ääh .. freuen.“
„Aber wie konnte der Verrat geschehen? Ist denn das Böse schon bis nach Imladris gedrungen?“ spekulierte Gandalf sichtlich geschockt.
„Wir wissen es nicht, Gandalf“, antwortete Glorfindel ihm, „doch ist es undenkbar, dass SEINE Hand schon so weit reicht. Keinen Hauch seiner Verderbnis konnten wir erspüren und auch sonst scheint alles wie immer zu sein. Nur Bilbo meinte, er hätte im Morgengrauen einen kleinen dicken Vollbarträger in kurzen Hosen und mit Knüppel in der Hand in Richtung Lautwasser laufen sehen. Doch wer sollte das gewesen sein?“
So brach die Gruppe also mit einem Rätsel und unter dem Eindruck eines bösen Omens zu ihrer fast hoffnungslos erscheinenden Mission auf. Traurig erklang, von lieblichen Stimmen gesungen, von den Mauern Rivendells eine alte Elbenweise zu ihrem Abschied: „Muss I denn, muss I denn, zuhum Städele hinaus, Städele hinaus uhund du mein Schatz …“ Nur um Arwens Lippen spielte ein leises Lächeln und ein unguter Verdacht dabei kam von allen Heldinnen und Helden alleine ihm, ihrem prinzlichen Verlobten: Aragorn, diesem stolzen Sohn von Königen und Weltenlenkern, diesem einsamen Titan unter den Menschen, diesem Überbleibsel alter Herrlichkeit, diesem Relikt aus dem Altertum, dieser stockenden Hülle alter … Entschuldigung – die, äh, Begeisterung drohte den Chronisten hinwegzutragen, aber Ihr seht Kinder, was für ein Mann das war.
Trostlos war der Weg durch das früher als Hulsten und als ehedem ein fröhliches, belebtes Land bekannte Gebiet. Karge Hügel und braune, struppige Graslandschaften durchschritten unsere Heldinnen und Helden auf ihren traurigen Pfaden und schwer lasteten Verantwortung und Ratlosigkeit auf ihnen. Wohin würde ihr Weg sie führen? Nach Mordor und zum Mount Doom? Oder zum Fundbüro des Schicksals? Am abendlichen Lagerfeuer war dies das am heißesten umstrittene Thema – direkt nach der Frage, wer das Kochen und den Abwasch zu erledigen haben würde (Denn anders als das bei Sam wohl der Fall gewesen wäre, sah Rosie ihre Pflichten nicht auf dem Gebiet der Dienstleistungen. Doch beherrschte sie beides gut … und sie erwies sich für die Männer der Gruppe als eine effektive und strenge Lehrerin). Wohin nur wohin? Und auf welchem Weg?
So zogen Tage vorbei, der einsame Weg nur manchmal unterbrochen von einer Hobbitstimme, die fragte „Wann sind wir endlich daha?“
Ach, traurig waren diese Tage und auch die Nächte, da es zudem aussah, als ob die Gruppe schon ganz am Anfang ihres Weges an ihren gruppendynamischen Problemen zu zerbrechen drohe. Denn zu den Fragen nach dem Wohin und dem Verlauf des Wegs kamen weitere Spannungen durch die nicht wenig konfliktträchtige Zusammensetzung der Gruppe. Übertrieb Rosie es nicht mit ihren aufrührerischen Reden gegen eine wahre oder vermeintliche männliche Dominanz? Auch Aragorn, dieser Titan unter den .. na, Ihr wisst, wer gemeint ist … schien Schwierigkeiten mit der Anwesenheit Arwens zu haben. Was vielleicht damit zusammenhing, das Arwen keinerlei Hehl daraus machte, dass sie ihren eigenen Kopf hatte und diesen auch durchzusetzen wusste.
Am meisten jedoch hatte Boromir zu leiden. Zwar war er mit seiner Meinung, wohin der Ring zu gehen habe, nicht ganz allein, denn Gandalf unterstützte ihn mit der gleichen Vehemenz darin, wie er dies schon in Elronds Rat zum Ausdruck gebracht hatte, doch zeigte Boromir sich äußerst verstockt gegenüber dem gesunden Einfluss des grauen Zauberers, der ihn vom Rauchen abzubringen gedachte. Dabei war es doch nur gut gemeint und ein Zeichen der großen Menschenfreundlichkeit Gandalfs, das er des Gondorianers Tabaksbeutel mit einem Zauberspruch belegte, der jedes Mal bei dessen Gebrauch wechselnde Inschriften zum Aufleuchten brachte wie „Rauchen kann tödlich sein“ oder „Rauchen zerstört Deine Leistungsfähigkeit.“
Von größter Kontraproduktivität für eine florierende Gruppendynamik waren jedoch die kognitiven wie affektiven Inkompatibilitäten zwischen den Hobbits und Boromir. Natürlich versuchte der Fundbüroleiter Frodo dazu zu bringen, den Ring in die Obhut seines Amtes zu geben – doch war er nicht eben einfühlend in diesem Bemühen, was der Ringträger mit wachsender emotionaler Distanz beantwortete, unterstützt darin besonders von Pippin. In diesem Zusammenhang sicherlich nicht zu entschuldigen waren die kleinen Nickeligkeiten, die Frodo zur Abwehr von des Gondorianers Bemühen entwickelte. So pflegte er zum Beispiel, wie das bei Hobbits so üblich ist, die lange Wanderzeit mit kleinen Spielchen abzukürzen. Dass er jedoch jedes Mal, wenn Boromir mit Raten dran war, aufreizend in seinen Hemdkragen schielte und rief „Ich sehe was, was Du nicht siehst und das ist … g o l d e n!“ das, liebe Kinder, das war nicht nett. Und es sollte viel zu dem Unheil beitragen, das sich später entwickeln würde.
Und Vorboten dieses Unheils meldeten sich erstmals am Fuße des Nebelgebirges an als die Gruppe zum letzten Mal vor dem unausweichlichen Aufstieg lagerte …
„Der Winter wird bald beginnen“, sprach Gandalf, „und es wird allerhöchste Zeit, das wir den Übergang über die Berge wagen.“
„Du hast Recht“, bekräftigte Arwen und zerteilte mit ihren alles durchdringenden Elbenaugen die das Gebirge umwehenden Wolkentürme, „schon sammeln sich die ersten Schneewehen auf den Hängen des Caradhras, aber noch ist der Pass überwindbar.“
„Martha“, sprach da Aragorn, „die Tiefen dieses Gebirges waren einst die Heimat Durins, Deines Volkes. Nur Du bist heute berechtigt, uns über diese Pfade zu führen. Geh voran, edle Zwergin und eröffne uns den Weg.“
„Was?“, Martha schaute irritiert hoch, war sie doch gerade damit beschäftigt gewesen, an etwas herumzukramen, das sich in ihrem Rucksack befand, „Äh ja, ja. Ist gleich soweit.“
„Nun, wohl an“, ermutigte Gandalf die Gruppe, „lasst uns nicht weiter zögern. Auf geht´s!“
Alle warteten auf die Zwergin.
„Ich sagte: auf geht´s!“, wiederholte Gandalf, „Was ist denn los?“
Martha fluchte und schüttelte etwas, das sich in ihrem Rucksack befand.
Aragorn trat zu ihr hin, „Was ist denn los, wir müssen uns eilen, Zwerg!“
„Zwerg i n “ zischte Arwen hinter ihm.
„Ja, ja – aber was ist denn nun?“
„Ich fürchte, wir können nicht über den Pass.“, schimpfte die Zwergin und hielt ihm den offenen Rucksack unter die Nase, worin sich eine kleines schwarzes Kästchen befand, „Seht doch nur, die OBU ist kaputt.“
„Bitte?“
„Meine On Bag Unit von Zoll Collect funktioniert schon wieder nicht – wir können die Gebirgsmaut nicht bezahlen …“
„Was sollen wir nun machen?“ barmte die Zwergin.
„Mein Gott“, warf Boromir ein, „dann gehen wir eben so.“
„Wir sollen uns den Übergang erschleichen?“ Aragorns Stimme war von Zorn gefärbt.
„Nein, Boromir“, fügte Gandalf Aragorns Empörung hinzu, „Nein, wenn wir uns den Übergang erschlichen und Gesetze brächen, dann wären wir nicht besser als Sauron selbst. So dürfen wir dem Guten nicht zum Sieg verhelfen. Dann hätte der Ring gewonnen.“
Offensichtlich nicht in der Lage, die Weisheit in Gandalfs Worten zu erkennen, blickten sich die Hobbbits gegenseitig an und Diamond zeigte den anderen sogar frech einen Vogel.
Gandalf, der diesen Mangel an Verständnis nicht bemerkt hatte, fuhr mit Grabesstimme fort, „Nun da uns der Weg über den Berg verschlossen ist, bleibt uns nur der Weg unter dem Berg hindurch.“
Martha erbleichte und Aragorn, dieser Sohn von – aber das erwähnt eich schon, ja? – wurde im letzten Augenblick von Arwen davor bewahrt, lang hinzuschlagen.
„Weh uns, doch einen anderen Weg gibt es nicht mehr“, sprach die Elbin.
„Doch, den hätte es gegeben“, so grummelte im Hintergrund Boromir ohne dass einer der anderen es hören konnte, „Es hätte den Weg über den Berg gegeben, wenn Du nur über deinen Schatten gesprungen wärst, Aragorn. Was Gandalf auch sagen mag: Ich wäre Dir gefolgt, mein Bruder, mein Hauptmann, mein König …“
III
Gesagt, getan zog die Gruppe zum Eingang der alten Zwergenstadt unter dem Berg: Moria.
Nach einem weiteren halben Tag kamen die Gefährtinnen und Gefährten in der Abenddämmerung zum alten Tor des unterirdischen Zwergenreiches, das nun schon seit so vielen Jahren verlassen war. Es lag in einem kleinen Tal, das fast zur Gänze von einem stillen, dunklen See ausgefüllt wurde, über dem das Nebelgebirge sich dräuend erhob. Gerade in diesem Moment ging über der Senke der Mond auf und seine Strahlen ließen auf der ansonsten unscheinbaren Bergwand einen silbernen Baum, sieben Sterne und eine wunderschön anzusehende elbische Inschrift aufleuchten.
„Was steht dort geschrieben?“ fragte Diamond und Arwen antwortete ihr: „Dies ist eine Schrift aus alten, besseren Tagen als die Zwerginnen und Zwerge noch Damen und Herren unter dem Berg waren. Dort steht ‚Die Türen von Durin, des Herrn von Moria‘.“
Aragorn pflichtete dem bei und konnte sich doch der Frage an Martha nicht enthalten: „Wieso eigentlich ‚Herr von Moria‘? Moria ist doch elbisch und heißt ‚Schwarzes Loch‘ – warum sollte ein Zwergenkönig seinem Reich so einen blöden Namen geben? Und überhaupt – wurde Moria nicht erst Moria genannt, nachdem die Zwerge gezwungen worden waren, ihre Stadt aufzugeben?“
Martha grummelte nur etwas von „Übersetzungsschwierigkeiten“ und dass keiner frei davon sei, Fehler zu machen.
„Ist ja auch egal“, warf Boromir ein, „aber dann lasst es uns auch hinter uns bringen, los!“
„Ausnahmsweise stimme ich dir zu“, sagte Frodo, „aber wie kommen wir da rein?“
„Lieber Frodo“, schmunzelte Gandalf wissend, „das ist zum Glück unser geringstes Problem. Martha, erklär´s ihm.“
„Zwergenportale wie dieses dort, das einst den hier lebenden Elben Zugang und die Möglichkeit zum Handel bot, waren alle magisch und öffneten sich einem jeden, der das korrekte Losungswort sprach. Nur ist das Passwort für dieses Tor bei uns Zwergen in Vergessenheit geraten. Es könnte das Geburtsdatum von Durins Mutter gewesen sein oder der Name seines ersten Haustieres. Sehr schwierig! Gandalf?“
„Verzagt nicht“, sprach der Graue, „mir sind alle Losungsworte alter Zeit bekannt und Ihr werdet sehen, das ich uns den Weg im Nu geöffnet haben werde. Nur ein paar Versuche, glaube ich, werden nötig sein. Tretet beiseite.“ Der alte Zauberer öffnete gebieterisch seine Arme und die Macht und Herrlichkeit vergangener Zeiten blitzte bei seinem majestätischen Anblick auf: „Annon edhellen, edro hi ammen!“ dröhnte seine tönende Stimme Respekt heischend durch das schmale Tal.
Die Silberlinien wurden blass, aber der glatte graue Stein rührte sich nicht und eine zweite Stimme, die aus dem Portal selbst zu kommen schien, antwortete: „Alder, Du kommst hier ned rein!“
„Scheiße“ – ein Kommentar von Boromir – war alles was man darauf hin zunächst hörte. [Ich hoffe, liebe Kinder, Ihr erkennt so langsam, an seinem Benehmen, das Boromir in dieser Geschichte der Böse ist – die sonstigen Utensilien des Bösen wie schwarze Kleidung, schwarzer Stetson, schwarzer Schnurrbart und zwei Revolver konnte ich ihm nicht andichten, weil das hier kein Western ist]
Dann durchbrach ein unheilvolles Heulen die Stille. „Warge“, rief Arwen, „zu den Waffen, kommt her, schürt das Feuer!“
„Ja!“ schloss Aragorn sich an, „Bildet eine Wagenburg!“
„Sei ruhig“, wies Arwen ihren Titanen an, „Gandalf, mach weiter – wir müssen da irgendwie rein.“
„Äh ja, … gut“, stimmte der Zauberer zu und probierte weitere Formeln aus, „Folge dem weißen Kaninchen! Sesam öffne Dich!“, aber die Tür blieb zu und die fremdartige Stimme beharrte jedes Mal darauf, dass sie „ned rein“ kämen.
Das Heulen rückte näher und nun begannen auch die Wasser des Sees, sich unheilvoll zu kräuseln. Die Gefährten waren eng zusammengerückt, nur Diamond hatte sich eng zu Fuße der strahlenden Umrisse des Eingangs nach Moria zusammengekauert. Gandalf probierte es gerade mit dem elbischen Begriff für Freund, auf den das Tor jedoch nur antwortete „Erzähl kein Scheiß, Alder“, als Diamond angstvoll ihren Rücken gegen den Stein drückte – und der Eingang sich geräuschlos öffnete. „(Schluck) Ey, Leute, die Tür war gar nicht zu! Los schnell herein“.
In diesem Augenblick geiferten die ersten schrecklichen Warge in das Tal und die Gefährten stürmten ebenso erleichtert wie ängstlich zum Tor, wobei Rosie gezwungen war, den konsternierten Gandalf hinter sich her zu schleifen. Doch just in dem Augenblick als sie die Schwelle übertraten, erhob sich eine grässliche, riesige und tentakelbewehrte Gestalt aus dem See, schleuderte die mit Saugnäpfen bewehrten Greifarme unseren Heldinnen und Helden hinterher … ergriff jedoch statt ihrer die Torflügel und brüllte „TÜR ZU – ES ZIEHT!!!“
Dröhnend knallte das Portal zu und Dunkelheit umfing die Gefährten.
IV
Ein schwaches Licht flackerte an der Spitze von Gandalfs Zauberstab auf. „Haben es alle geschafft?“ Zweifel schwangen in des Grauen Stimme mit. Doch nacheinander antwortete es: „Ja, ja, ja, ja“ – vier Hobbitstimmen waren das. „Ja“ antwortete mit fester Stimme Marthas mehr oder weniger melodiöser Bass. „Ja, ja [und] ja“ antworteten zwei Menschen und mit klarster Stimme eine Elbin. Und eine neunte Stimme antwortete: „Ja – mein Schatzzz.“ Und neunmal hörte man ein fragendes „Hä?“ doch in der dunklen Ferne verlor sich nur ein leise patschender Laufschritt.
„Was war das?“, fragte Frodo.
„Ich fürchte,“ sprach Aragorn, „das war das Wesen Gollum, von dem Bilbo damals den Ring errang. Wie mir Legolas sagte, ist es aus der Gefangenschaft der Waldelben entkommen und jetzt scheint es wieder dem Ruf des Ringes zu folgen, den es so lange als seinen Schatz betrachtete.“
„Dann müssen wir ihn töten“, entrang es sich Frodos Brust, „Er gefährdet alles.“
„Nein“, widersprach Gandalf da mit überlegener Stimme, „ich spüre, das Gollum noch eine Rolle zu spielen haben wird, ehe dies Unterfangen beendet ist – und wer weiß, ob es nicht sogar zum Besten aller sein wird. Wir können ihn auch unmöglich in dieser Dunkelheit verfolgen. Ich bin froh, wenn wir heile auf der anderen Seite heraus kommen. Man sagt es gehen dunkle Schrecken aus alter Zeit in diesen Schächten um.“
„Ja“, mischte sich Martha ein, „aber niemand weiß wirklich, welches Grauen hier unten hockt. Als meine Vorfahren damals unser Reich unter diesen Bergen aufgeben mussten, ist keiner entkommen, um zu erzählen, was wirklich geschah. Doch viele Tausend waren es, die damals unter dem Berg blieben, weshalb das Schrecknis ein wahrhaft Gewaltiges gewesen sein muss.“
Diese Erörterungen waren nicht dazu angetan, die Stimmung der Gefährtinnen und Gefährten zu heben. Bedrückt schlichen sie durchs dräuende Dunkel. Die Zeit konnten sie nur erahnen – waren es Stunden oder schon Tage? Der drückende Berg, die Meilen von Gestein über ihren Häuptern und das pressende Dunkel ließen selbst die sonst so unfehlbare innere Uhr der Hobbits stocken, die sich bisher zuverlässig im Takt der über Tag und Nacht verteilten Mahlzeiten gemeldet hatte.
Und war da nicht ein leises, aber schnelles Tumm-Tapp, Tapp-Tumm, Tumm-Tapp, Tapp-Tumm von hinterwärts zu vernehmen? Oder kam das Geräusch aus dem Gang, der sich nach links verlor? War da etwas aufgescheucht worden, was man besser in Ruhe gelassen hätte? Oder war es doch nur Einbildung?
Unmessbare Zeit verrann …
Plötzlich … Trommeln? Dum, dum, dum. Nein … nur ein ferner Steinschlag, in einem fernen Stollen. Oder?
Sie zogen jetzt durch endlose staubbedeckte Korridore, vorbei an steinernen Türen, von denen Gandalf sie hieß, ihrer nicht zu achten und keine einzige zu öffnen. Wo Gandalfs schwaches Licht das Dunkel mühsam durchdrang, changierten allenfalls schmutzige Grautöne ineinander. Und ständig Geräusche, Geräusche … oder doch Einbildung? Die kurzen Rasten, die sie nur einlegten, wenn ihre Beine sie gar nicht mehr zu tragen vermochten, waren für die Phantasie der Gruppenmitglieder vielleicht das Schlimmste und von Ausruhen konnte kaum eine Rede sein.
Doch irgendwann öffnete sich der Gang zu einer weiteren, der weitesten Halle bisher und Gandalf erlaubte sich ein erstes erleichtertes Lachen. „Ich weiß wo wir sind. Dies ist die zweite Halle von Alt-Moria, und die Tore sind nahe. Nur noch über die Brücke dort hinten und wir sind draußen.“
Pippin grinste erleichtert „Oh Mann, was haben wir uns bloß so in die Hosen gemacht und alles was uns hier gefährlich werden konnte war der Moder.“
„Was es auch war“, warf Martha ein, „was Durins Volk vertrieb, es ist weg. Wenn alles vorbei ist, werden wir die Stadt wieder in Besitz nehmen können.“
Doch, ach – sie hatten sich zu früh gefreut. Denn plötzlich tauchte ein Schatten auf der anderen Seite jener Brücke auf, die ihnen Freiheit und Sicherheit verhieß. Was es war konnte man nicht sehen, nur ein dunkler Umriss, von Menschengestalt vielleicht, doch größer; und Macht und Schrecken schienen in ihm zu sein und ihm voran zu gehen.
„Ein Balrog“, murmelte Gandalf, „jetzt verstehe ich. Was für ein Unglück. Und ich bin schon müde.“
Und der Balrog betrat die Brücke.
Feuer und Rauch umwehten das riesige Ungeheuer und der Dämon sprach zu Gandalf, der an der Spitze der Gefährten stand. „Du kannst nicht vorbei. Ich bin ein Diener des Feuers und gebiete über die Flamme von Udun. Du kannst nicht vorbei! Das helle Feuer wird dir nichts nützen, Flamme von Anor.“
Gandalf zog sein weiß flammendes Schwert Glamdring und das des Dämons glitzerte rot als Antwort. „Lass du uns vorbei, unheiliger Knecht Morgoths“, sprach Gandalf, „Nichts geht es dich an, was uns durch den Berg führt. Lass uns vorbei!“
„Du kannst nicht vorbei!“
„Warum nicht?“
„Ihr denkt wohl, ihr könnt mich verarschen, was? Ich weiß genau, das Ihr den Weg unter dem Berg zu nehmen trachtetet, um der Mautzahlung zu entgehen. Doch die Maut gilt für jeden Pfad durchs Nebelgebirge.“
„Uups“, machte Gandalf da, „das wussten wir nicht. Aber da wir den Pass nicht benutzten, dachten wir …“
„Ach, und Ihr glaubt wohl, wir haben hier unten für Nüsse sauber- und den Weg frei gemacht. Was denkt Ihr denn, wie es hier ausgesehen hat, nachdem die Zwerge abgehauen waren? Wovon soll ich meine Orks bezahlen, wenn nicht von der Maut.“
„Vielleicht können wir darüber reden?“, fragte Gandalf nun, trat zu dem Balrog hin und führte ihn zur Brückenkante, „Pass auf, ich habe da einen Vorschlag, hör mir mal zu.“ Und der Balrog beugte sich zu Gandalf hinab.
Der Weg über die Brücke war dadurch auf der anderen Seite frei geworden und Gandalf gab hinter seinem Rücken drängende Zeichen, dass die anderen am Dämon vorbeischlüpfen sollten. Aragorn und Arwen scheuchten die Gruppe vorwärts, die es tatsächlich unbemerkt an dem Schattenwesen vorbei auf das jenseitige Ende der Brücke und in Sicherheit schafften. Mit schnellen Schritten eilten sie eine Treppe hoch auf das letzte Tor zu, das auf die Ostseite des Nebelgebirges hinausführte.
Als alle am oberen Treppenabsatz angekommen waren dröhnte unten auf der Brücke plötzlich der Balrog los. „Bestechung! … Korruption!! … Infamie!!! Was glaubst du mit wem du es zu tun hast? Und wo sind die anderen Narren. Geflohen? Du wirst dich dafür verantworten.“ Mit diesen Worten stieß er den grauen Zauberer auf die Westseite der Brücke zurück und Gandalf ging gesenkten Hauptes und schwer schleppenden Schrittes auf eine Art Wartesaal zu.
„Neeeiiiin … nein, Gandalf nicht“, schrie Frodo in höchster Not und wandte sich mit von Tränen überströmtem Gesicht den anderen zu. Schluchzend sagte er: „Er hat eine Nummer gezogen und wartet auf seinen Aufruf … Wir werden ihn nie wieder sehen.“
ENDE DES ZWEITEN TEILS
(Bochum 07/04)