© Frank Weinreich


I

Das Folgende begab sich zu der Zeit, als noch Hobbits auf der Ostseite des Nebelgebirges lebten, mitten im Dritten Zeitalter der Welt. Die Welt war rau und ungezähmt geworden, seit die Elben nur noch in geringer Zahl in ihr lebten. Doch der Schatten vom Ende des Zeitalters war noch nicht erwacht und man konnte halbwegs in Sicherheit leben, wenn man sich nur von bestimmten üblen Gegenden fern hielt, wo, so hieß es unter Hobbit und Mensch, das Böse umging. Etwas höher auf den Hängen des Nebelgebirges, da wo dunkles Nadelgehölz die Eingänge zu Höhlen verschloss, in die man sich besser nicht hinein wagte. Die Hobbits von der anderen Seite des Gebirges waren vielleicht etwas starrsinniger und sicherlich weniger zivilisiert als ihre vor Jahrhunderten übergesiedelten Cousins und Cousinen. Doch sie waren auch kaum abenteuerlustiger als diese, so dass sie sich natürlich von solchen Stellen weit entfernt hielten.

Bis auf einen, so muss man einschränkend sagen. Dieser eine mutige junge Hobbit war auf dem besten Wege, in weiteres unerschlossenes Gebiet noch höher am Hang vorzudringen. Erste schroffe Felsen markierten den Übergang in echtes Gebirge und diesen Übergang wollte der Junge heute erstmals überschreiten. Auf dieser gedachten Grenze, weit weg von Tal und Dorf war er schon oft gewandert, doch hinüber hatte er sich noch nie getraut.

Dabei wagte er sowieso sehr viel mehr als andere Hobbits seines oder jeden anderen Stammes. Er war eigenbrötlerisch und in Gesellschaft oft schlecht gelaunt, fehlte ihm doch einiges von der hobbittypischen Freundlichkeit und Gemütlichkeit. Das machte ihn bei einer so gleichförmigen Stammesgesellschaft wie der der Hobbits zu einer Art Außenseiter. Man begegnete ihm mit Zurückhaltung, fast schon Misstrauen und das trieb ihn nur weiter auf einsame Erkundungen der Umgegend. Denn statt angemessener Hobbittugenden erfüllten ihn Neugier – nein Wissbegierde – und eine gewisse Unrast. Sah er eine Ecke am Ende des Weges, so wollte er wissen, was dahinter läge. Und was dort hinter dem nun vor ihm aufragenden Felsen läge, in dessen Rücken ein kaum wahrnehmbarer Wildwechsel führte, das wollte er an diesem Tage wissen. Und überschritt die Grenze.

Hinter dem Felsen schienen die Berge steiler in die Höhe zu ragen. Geröllfelder, Nadelwaldsprengsel und weitere Felsblöcke zogen sich den ansonsten mit Moos und Flechten bedeckten Hang hoch. Der Wildwechsel … halt, was war das?

Der junge Hobbit beugte sich über den Boden, denn offensichtlich war hier etwas geschehen. Der Grund war aufgewühlt, schwere Stiefel hatten sich in die dünne Erdschicht gebohrt und dort auf dem Stein … Blut! Hier hatte ein Kampf stattgefunden.

II

Der Junge beugte sich hinab. Das Blut war eingetrocknet … aber es war viel Blut gewesen, denn ein breiter Streifen führte links herab in eine Mulde, die mit Blut angefüllt war. Genug, dass sein Verlust einen Hobbit getötet haben würde. Er war kein Experte, was Blut anging, aber vom Schweineschlachten wusste er etwas über die Gerinnung, und diese Lache war sicherlich schon einen Tag alt, so dachte er, als er begann, mit einem Ästchen in der Lache zu stochern.

Eine Jagd? Nein. Hier hatten sich viele schwere Stiefelpaare um etwas versammelt und waren zusammen auf es eingedrungen. Der Junge war sich sicher, dass es sich dabei weder um ein Wildschwein, einen Wolf, noch um einen Steinbock gehandelt haben konnte. Hier hatten Menschen mit einander gekämpft. Menschen … oder Schlimmeres. Er war jenseits der selbstgesteckten Grenze schon in gefährliche Nähe zu den Hängen und Schluchten geraten, vor denen die Alten immer warnten.

Doch die Neugier ließ ihn nicht los. Da führte doch eine Spur den Hang hinauf? Er war kein Spurenleser, aber die schweren Stiefel hatten sich sorglos den Weg bergan gebahnt und ihre Spur war nicht zu übersehen. Vorsichtig folgte der Junge ihr.

Sie wand sich den Berg hinauf, mal steiler, mal führte sie für ein kurzes Stück auch bergab, aber die dunkle Wand unter dem Gipfel, der das Heimattal auf Dutzende von Meilen überragte, rückte immer näher. Höhlen sollte es dort geben, so hieß es im Dorf. Den jungen Hobbit verließ der Mut Stück für Stück ein bisschen mehr, als er sich der Wand näherte. Er hockte sich nieder und rang mit seiner Neugier. Wolken hatten begonnen sich zu sammeln und das abnehmende Licht ließ ihn seine Entschlossenheit nur noch mehr in Frage stellen. Da öffnete sich ein kleine Lücke in den Wolken und ein Sonnenstrahl fiel vor ihm auf den Weg, den die Stiefelspuren ins Moos gezeichnet hatten. Da glitzerte etwas!

Fünf Schritte nur und der Junge fand einen goldenen Ring, der im tiefen Moos glänzte. Er hob ihn auf und hielt ihn hoch, hoch in den letzten Sonnenstrahl, denn die Wolken schlossen sich schon wieder. Noch einmal glänzte der Ring in Schönheit auf – glatt, makellos, von perfekter Rundung. Doch halt, die makellose Glätte erwies sich bei näherem Hinsehen als von feinsten Linien durchbrochen. Es war … das Licht des Tages, es war durchaus hinreichend, nur, man musste die Augen sehr anstrengen. Doch dann sah man feine Blätter in das glatte Gold getrieben … runde Büschel hingen an schmalen Ranken – Trauben, das waren Trauben. Weintrauben, von denen es hieß – niemand im Dorf kannte das Getränk aus eigenem Genusse – von denen es hieß, dass man Wein daraus kelterte. Wein, dort draußen im Waldreich der Elben.

Elben? Sollte der Ring elbisch sein? Nie hatte der Junge einen Elben von Nahem gesehen – denn natürlich hatte nie einer der hohen Herren und Damen je den Fuß in das Dorf gesetzt. Doch manchmal, zu den Sonnenwendzeiten, sah man Prozessionen der Elben durch die Wälder ziehen. Aus der Ferne natürlich nur. Nie hätte ein Hobbit jener Zeit es gewagt, sich den Elben zu nähern, sie gar anzusprechen. Und die Elben? Nein, lächerlich, was hätten die Elben denn mit dem Dorf auch wollen können.

Aber natürlich erzählte man im Dorf von diesen engelsgleichen Wesen. Klein genug war die Welt der Hobbits schließlich, um sie von Weite und Erhabenheit ein bisschen träumen zu lassen. Wunderbare Musik spielten sie, die Unsterblichen, so hieß es. In Liebe zueinander entbrannt, so erzählten die alten Frauen bewundernd, flogen sie im Waldkönigreich von Baum zu Baum und deklamierten Gedichte, die das Herz eines Sterblichen, sollte er sie zu hören bekommen, voll schmerzender Schönheit sofort würden brechen lassen. Zu ihren Häusern verwoben sie goldene Bäume mit silbernen Mondstrahlen und ihre handwerkliche Geschicklichkeit überstieg jede Vorstellung, so sagten die alten Männer. Die Geschmeide, die sie schufen, ließen die Könige der Großen Leute ob ihrer Schönheit in Tränen ausbrechen.

Der junge Hobbit weinte nicht. Aber etwas so Schönes wie diesen Ring hatte er auch noch nie gesehen und würde es sicherlich nie wieder zu sehen bekommen. Eines war ihm klar geworden: Ein Elb. Ein Elb musste dort gekämpft haben. Aber nicht mit Menschen, nein! Menschen oder gar Hobbits kämpften nicht mit diesen überirdischen Gesandten. Nur das Böse selbst würde das wagen.

Orks! Orks. Niemand im Dorf hatte sie je gesehen, doch die Großeltern wussten davon zu erzählen, dass ihre Großeltern manchen Orküberfall zu erleiden gehabt hatten. Schweineschnäuzige, grünhäutige Monstren mit feurigen Augen, die Gift spuckten. Orks. Es war nicht das geringste Wunder in der Geschichte Mittelerdes, dass der junge Hobbit es wagte, weiter zu gehen.

Aber das tat er. Ein Elb! Orks! Er hätte in diesem Augenblick sicher nicht sagen können, was ihn antrieb, was er mit seinem Weitergehen zu erreichen gedachte. Aber er ging weiter. Den Ring so fest in die linke Hand gepresst, dass es schmerzte.

Die Spur schlängelte sich weiter auf den Berg zu und war nicht zu verfehlen. Selbst dann nicht, als ein Regenguss begann. Der Junge aber spürte die kalten Tropfen gar nicht. Er schlich sich auf die Wand zu. Die Bäume verschwanden völlig und er bewegte sich nun über relativ offenes Gelände, in dem nur einzelne Felsblöcke etwas Sichtschutz gaben. Es wäre gar nicht nötig gewesen, im Zickzack und unter Ausnutzung jeder Deckung voran zu schleichen, denn zu seinem Glück waren die Orks jener Tage meist noch völlig unorganisiert und hatten keinerlei Wachtposten zurückgelassen, die sich um den Weg hätten kümmern können. Selbst der Höhleneingang war unbewacht.

Höhleneingang? Ja, denn das war, wo die Spur der schweren Stiefel endete. Ein Höhleneingang. Schwarz. Wie ein Maul im Fels. Umgeben von schroffem Gestein, die Kanten des Eingangs gezackt wie das Maul eines Raubtiers.

III

Es war der Ring in seiner Hand, der ihn dazu brachte, diese Höhle entgegen aller Vorsicht und vollkommen entgegen allen Gewohnheiten seiner Art zu betreten. Nein, nicht durch irgendeinen magischen Einfluss erreichte der Ring dies. Die Kraft, diesen Mut zu spenden, lag allein in seiner Schönheit. Ein Wesen, das so etwas schuf, durfte nicht einfach so in einem Schlund im Berg verschwinden. Der Junge fühlte, dass er es ihm schuldig war, zu folgen und zu versuchen zu helfen.

Er öffnete die Hand, der Ring lag im Tageslicht auf seiner schrundigen Handfläche. Das Glänzen erlosch, als die Wolken sich über der Sonne schlossen.

Entschieden streifte der Hobbit den Ring auf seinen Mittelfinger, den einzigen, wo der passte. Und er ging ins Dunkel hinein. Er zitterte ein wenig, aber er ging hinein.

Im Berg war es dunkel, aber nicht so völlig dunkel, wie man hätte meinen sollen. Leuchtende Flechten spendeten genug Helligkeit, um sich bewegen zu können. Hätte es hier Abzweige gegeben, so wäre der Junge nie weitergekommen. Die aber gab es nicht und so gelang es ihm, immer tiefer in die Höhle einzudringen … bis zum … Lichtschein. Da war ein Lichtschein weit voraus!

Hobbits können sich sehr leise bewegen. Wenn sie wollen, können sie sich lautlos anschleichen. Doch auf diese Eigenschaften musste der Junge gar nicht zurückgreifen, als er sich dem Licht näherte. Wie tapfer er sich beim Anschleichen Schmerzenslaute verbiss, obwohl sich manch spitzer Stein in Arm oder Bein bohrte! Doch egal, denn von dort vorne war alles übertünchender Lärm zu hören; erregte Stimmen, die offensichtlich heftig stritten. Der junge Hobbit schlich vorsichtig, vorsichtig näher.

Doch es gab wieder keine Wache und selbst einer der Großen Leute hätte sich bequem unbemerkt bis auf Sichtweite der Kaverne nähern können, in der das Licht schien und in der ein lauter Streit tobte.

Ein kleiner Absatz rechts vom Eingangs zur Kaverne führte gute zwei Meter in die Höhe; legte man sich nieder und kroch ihn hoch, so war es zwischen Höhlendach und Absatzfläche möglich, die gesamte Kaverne zu überblicken.

IV

Der Hobbit sah in eine weite Höhle mit flachem Boden und steil ansteigenden Wänden. Ein großes Feuer loderte in der Mitte. In der Decke, die sich im Dunkel verlor, musste es Löcher geben, die den Rauch abziehen ließen. Ein perfekter Hort in diesen Bergen, die des Winters in Schnee und Eis erstarrten. Doch der Hort war vollkommen verdreckt, der Boden von Müll bedeckt und es roch, als würde sich auch die Latrine hier befinden. Zehn, vielleicht auch elf oder zwölf schwarze, deformiert wirkende Gestalten lieferten sich ein heftiges Wortgefecht inmitten des freien Platzes. Rechts des Eingangs, auf etwas mehr als halbem Wege stand er, die Hände in Eisen, die Eisen an einer Kette befestigt, die durch eine Rolle an der Höhlendecke führte und wieder nach unten lief, wo sie an einem Pflock befestigt war, der im rohen Felsen stak. Einziger Zweck dieser Vorrichtung war, einen Gefangenen auf schmerzhafte Weise in die Höhe zu recken und zu quälen.

Doch dem Jungen schien es, als ob der gefesselte Elb strahlte. Unter einer Schicht aus Schmutz und Blut, halbnackt und die verbliebenen, einst feinen Gewänder in Fetzen, strahlte der Elb doch wie ein Licht über die zerlumpten Monstren, die sich da vor ihm anschrien. Das edle Wesen des Elbs ließ sich noch durch die beschämendste Demütigung nicht verdecken, so erschien es dem Hobbit.

Die Orks in der Höhle schienen in zwei Lager zu zerfallen. Die eine Hälfte schien, soweit es den gutturalen Äußerungen in einem Gemisch aus zivilisierter Sprache und irgendeinem knirschenden Dialekt zu entnehmen war, den Elb töten zu wollen, während die andere Gruppe Lösegeld mit ihm erpressen wollte. Und dann brach ein Kampf aus.

Schreie, Beschimpfungen und das Klirren von Waffen erfüllten die Höhle mit ungeheurem Lärm. Bald sank der erste Ork zu Boden, schon folgte der zweite und spätestens was die Sieger mit den Leichen machten, hätte den Hobbit eigentlich vor schierem Entsetzen erstarren lassen müssen. Doch die überirdische Ausstrahlung des gefangenen Elbs ließ ihn Angst und Ekel überwinden. Der Hobbit bewies unglaublichen Mut als er sich an der Höhlenwand entlang, inmitten der flackernden Schatten, die tötende und sterbende Orks auf die Felswand warfen, hinüber zu dem Elb schlich.

In des Gefangenen Rücken angelangt, sah der Hobbit, dass neben dem Pflock, nachlässig hingeworfen, ein kruder Schlüssel lag. Dies musste der Schlüssel sein, der die Eisen öffnen würde. Der Junge zerrte an der Kette, die um den Pflock geschlungen war, und es gelang ihm, sie zu lösen. Der Gefangene sackte zusammen, richtete sich aber sofort wieder auf. Mit gefesselten Händen schnellte der Elb herum, bereit mit den Eisen zuzuschlagen. Er riss die Augen voller Erstaunen auf als er statt eines Orks den jungen Hobbit vor sich kauern sah, Angst im Blick. Zitternd, aber ohne zurückzuweichen bot der Kleine dem Elb den Schlüssel für die Eisen dar. Der stieß die Arme vor und zischte ihn herrisch an. Noch hatte keiner der Orks etwas bemerkt.

Ungelenk, verunsichert vom Drängen des Elbs dauerte es eine Weile, bis sich die Eisen von dessen Handgelenken lösten. Der Elb stieß den Hobbit beiseite und sprang auf einen Haufen Müll zu. Erst jetzt sah der Hobbit, dass der Müll den zerrissenen Besitz des Elben darstellte. Blitzenden Stahl riss der Elb aus dem Haufen hervor. Er wandte sich dem Geschehen in der Mitte der Kaverne zu. Ein Schlachthaus! Nur noch drei Orks standen, ein paar lagen, sich im Blut windend, am Boden. Der Elb nahm furchtbare Rache an den noch Stehenden wie an den am Boden liegenden. Dann war es still in der Höhle…

V

Der Elb wandte sich seinem Retter zu, Feuer loderte noch immer in seinen Augen und das Strahlen, das der Hobbit beim ersten Anblick wahrgenommen zu haben vermeinte, es war ein Brennen geworden, ein Stechen wie von der unbarmherzigsten Mittsommersonne.

Der Elb trat auf den Hobbit zu. Warum schaute er nur so böse? Er musste doch sehen, dass der Junge sein Retter war und so gerne sein Freund hätte sein wollen. Der Hobbit schlug den Blick nieder, erschüttert. Es hätte ihn nicht verwundert, in der nächsten Sekunde den blanken Stahl im eigenen Körper zu verspüren.

Dazu kam es nicht. Stattdessen sprach der Elb ihn herrisch an. So eine melodische Stimme, wie konnte die so kalt sein? Der Hobbit blickte auf. Das Feuer in den Augen des Elben war gewichen, an seiner Stelle war da jetzt nur noch Kälte. Arroganz sprach aus den edlen Zügen. Der Elb dankte ihm. Doch der junge Hobbit spürte, dass dies kein echter Dank war. Und schon hatte der Elb sich abgewandt und untersuchte das Bündel seiner Sachen, ob sich noch etwas Brauchbares darin fände. Er war schnell fertig damit. Noch während des Suchens hatte er dem Hobbit befohlen, eine Fackel zu besorgen. Nun hieß er den Hobbit, ihm den Weg zu leuchten, damit er aus diesem Drecksloch verschwinden könne.

Dass er hier raus käme! Wie ein Blitz durchfuhr den Hobbit die Erkenntnis, dass der Elb nicht einen Gedanken an ihn verschwendete. Aber konnte er wirklich erwarten, dass ein derart hoher Herr sich um ihn kümmerte? Um seine Gefühle von Ehrfurcht und bangendem Hoffen auf ein freundliches Wort? Um die Angst, die ihn völlig ausgelaugt hatte, wie er erst jetzt merkte. Er bat den Elben mit niedergeschlagenen Augen, ihm zu folgen.

Der Weg aus der Höhle war schnell bewältigt. Zumal der hinter dem Hobbit schreitende Elb Eile befahl und ihn einmal sogar ruppig vorwärts stieß, als der Hobbit sich das Schienbein an einem Felsen verletzt und es gewagt hatte, im Gehen innezuhalten. Tiefe Enttäuschung und Scham – weshalb? Er wusste es nicht! – hatten die Ehrfurcht und Bewunderung längst verdrängt, als die beiden ans Licht des Tages traten.

Die Wolken waren verschwunden und die Sonne stand tief am Himmel. Der Hobbit nahm noch einmal seinen Mut zusammen, um den Elben anzusprechen. Aufgerichtet, kalt, trotz Blut und Schmutz wie ein ferner König auf den armen Hobbit wirkend, stand der Elb vor ihm. Eine Braue stieg arrogant in die Höhe; was konnte dieser Wicht noch wollen? Der Wicht hob die Hand … und die Sonne ließ den auf dem Mittelfinger des Hobbits steckenden Ring des Elben erstrahlen.

Erneut loderte Feuer in des Elben Augen auf. „Was? Woher? Wie kannst du es wagen? Das ist meins. Gib es sofort zurück, es ist MEINS!“ Die Stimme des Elben war erregt und kalt zugleich. In unmenschlicher Schnelligkeit stieß die Hand des Elben vor und riss rücksichtslos den Ring vom Finger des Hobbits. Der stieß einen Schrei aus, als der Ring ihm den Finger aufriss, ja ihn halb abriss, und sackte zusammen.

Der Elb aber hatte sich wieder in der Gewalt. Zuerst schien es, als wolle er auch noch sein Schwert ziehen, aber er beließ es bei einem unangenehmen Schnauben. Er wandte sich ab und lief mit langen anmutigen Schritten – ohne ein weiteres Wort, ohne einen Blick – über den Hang davon. Der junge Hobbit blieb zurück, Blut tropfte von seiner Hand, Tränen stiegen ihm in die Augen. Aber nicht wegen des Schmerzes …

Lange noch weinte der junge Hobbit bitterlich vor Wut und Gekränktheit ob der erlittenen Demütigung. Ins Tal, ins Dorf zurück, wollte er heute auf keinen Fall mehr. Zu sehr schämte er sich, nicht aufgestanden zu sein, dem arroganten Elb nicht die Stirn geboten zu haben, nicht seinen Dolch … egal … zu spät. Nein, lieber blieb er hier oben.

VI

Und unten im Dorf, da vermisste ihn sowieso niemand, man hatte sich an die Anwandlungen und das eigentümliche Verhalten des Jungen gewöhnt, misstraute ihm auch wegen seines untypischen Lebenswandels. Nur seine Mutter machte sich tief in der Nacht noch Sorgen, so wie sie sich immer Sorgen machte. Als von weit oben aus Wald und Berg leises Wolfsheulen in das Tal hinab und durch das offene Fenster ins Schlafzimmer hinein drang, wandte sie sich zu ihrem Mann und sprach:
„Wo er nur wieder bleibt. Hör nur die Wölfe. Und nicht einmal der Mond steht am Himmel, um ihn zu beschützen.“
„Ach Weib“, antwortete der Mann, „was erwartest du von diesem Sohn? Natürlich wird er sich wieder in Schwierigkeiten bringen. Ich sage dir, eines Tages wird es ein schlimmes Ende nehmen mit Smeagol.“

(Bochum, Juli 2008)