Poor were we indeed without magic
whereof we are well stored
to the envy of Darkness and Space.
(Lord Dunsany: The King of Elfland´s Daughter)

 

 

Fantasy ist, was der Buchhändler in das entsprechend beschriftete Regal stellt – das ist die einfachste Antwort auf die Frage, „Fantasy, was ist das?“

Leider ist es aber natürlich keine Lösung, und es stellt sich auch weiterhin die Frage, was ist die Fantasy überhaupt?

Die eine allgemein gültige und unbestritten anerkannte Definition von Fantasy gibt es nicht (vgl. Pesch 2001, Kap. 1). Das Genre widersetzt sich seiner Bestimmung beharrlich (Jackson 1981, 2). In der Einführung zu einer der ersten Bibliographien der phantastischen Literatur schreibt ihr Verfasser, Everett Bleiler, bezüglich der Fantasyliteratur: “Fantasy kann für jeden etwas anderes bedeuten” („Fantasy may be almost all things to all men“; Bleiler 1948, 3). Unbefriedigend! Formuliert wurden glücklicherweise in der Folge trotzdem eine Reihe von Beschreibungen, Annäherungen und, ja, natürlich auch, Definitionen, die jedoch meinem Eindruck nach alle entweder zu vage oder unvollständig sind.

Deshalb scheint mir zunächst eine Beschreibung beziehungsweise eine klar umrissene Umschreibung des Genres die sinnvollste Vorgehensweise, um das Definitionsproblem zu lösen, denn auf dem Weg der Beschreibung wird deutlich werden, welche Inhalte und Formen zur Fantasy gehören . Aus den gegebenen Beschreibungen und den Definitionen anderer Autorinnen und Autoren werde ich dann zwei neue Definitionen von Fantasy entwickeln, bei denen es sich zwar um normative Setzungen handelt, aber anders geht es nicht. Und Ihr werdet zumindest sehen, dass auch disputierbare Definitionen das Verständnis des Genres erleichtern helfen. Im Anschluss an die Definition werde ich dann meine Ansichten über die Funktionen und mögliche Bedeutung von Fantasy entwickeln.

Fantasy ist historisch zunächst Literatur. Zwar gehören heute Film, Musik, Kunst und Spiel auch unbedingt mit zur Fantasy, aber zuerst begann sie als Erzählung. Genauer gesagt als Erzählung aus dem Bereich der phantastischen Literatur. Phantastische Literatur ist nun selbst ein erklärungsbedürftiger Begriff, der ähnlichen Definitionsproblemen unterliegt wie die Fantasy. Deshalb werde ich ihn einfach als Sammelbegriff für diejenigen literarischen Werke, die die Grenzen der empirisch nachvollziehbaren Wirklichkeitsdarstellung überschreiten, stehen lassen. Damit fallen unter das Label »phantastische Literatur« so divergierende Untergattungen wie das Märchen, die Fabel, Horrorgeschichten, die Science Fiction und viele andere sowie eben auch die Fantasy als eigenes Genre.

Es geht an dieser Stelle also zunächst darum, sich dem Genre der Fantasy anzunähern. Um das Phänomen Fantasy als Genre der Literatur zu definieren, dürfte es also hilfreich sein, sie innerhalb des literarischen Gattungskorpus1 einzuordnen, etwa indem man sie mit Hilfe des (immer noch nicht überholten) Systems der klassischen Poetiker betrachtet. Dann stellt sich die Frage nach den Hauptgattungen: Gehört Fantasy zu Lyrik, Epik oder Dramatik? Lyrik, also die Versform, kommt in der Fantasy und besonders in den bekannteren Werken des Genres immer wieder vor. Zudem kann im Vorgriff auf die noch zu liefernde Definition schon hier gesagt werden, dass das Übernatürliche, dass ‘das Magische’ und die Verzauberung das wichtigste Merkmal der Fantasy ist. Dann aber wären eine ganze Reihe von Werken der Dichtkunst selbst gänzlich zur Fantasy zu zählen, da sie sich des Übernatürlichen als eines zentralen Themas bedienen. Zu denken ist etwa an Ovids Metamorphosen, an Chaucers Canterbury Tales oder an Miltons Paradise Lost. Die Dramatik bezeichnet bekanntermaßen jegliche Form von Theaterstücken und, seit es sie denn gibt, in gewisser Weise auch die filmische Darstellung. Sie zeichnet sich ebenfalls durch eine Vielzahl phantastischer Werke aus, die das Übernatürliche als einen zentralen Inhalt aufweisen, etwa die antiken Komödianten und Tragöden, ein großer Teil von Shakespeares Werken und viel moderne Dramen und Filme. Fantasy gehört vor dem Hintergrund dieser Überlegungen aber natürlich auch zur Epik, jener Hauptgattung, unter deren Namen alle Formen des mündlichen und schriftlichen Erzählens zusammengefasst sind: Tolkien, Raymond Feist, Robert Howard, George R.R. Martin, Joanne K. Rowling, – alles unbestrittene Fantasy in Erzählform. Anscheinend hilft also die formale Bestimmung nicht viel weiter. Da hilft auch kein tieferer Blick: Die Unterformen der literarischen Hauptgattungen sind in der Literaturwissenschaft zwar in höchster Weise ausdifferenziert worden,2 doch die Differenzierungskriterien werden von der Fantasyliteratur einfach nicht eingehalten, sondern immer wieder und auf mannigfaltige Weise überschritten und miteinander kombiniert.

Im Zusammenhang mit Fantasy fällt den meisten Menschen wahrscheinlich aber auch weniger die Darstellungsform zuerst ein, als vielmehr die Inhalte. Fantasy, das sind doch Geschichten über Zauberer, Drachen und märchenhafte Welten, oder? Es bietet sich also an, eine inhaltliche Bestimmung des Genres zu versuchen.

Um diese Bestimmung zu erhalten, ist es sinnvoll, kurz einige wenige prototypische Werke der Fantasyliteratur zu betrachten, die ganz zweifelsohne zur Fantasy gehören. Einige Werke sind derart genre- wie stilbildend geworden, dass sie gut dazu dienen können, typische Merkmale von Fantasy aufzuzeigen. Die Wahl gerade der folgenden drei Werke orientiert sich in erster Linie an ihrem Bekanntheitsgrad, der so groß ist, dass sie man sie getrost als Bestandteil der Populärkultur ansehen kann. Ein Qualitätsurteil ist damit nicht verbunden, die drei genannten Werke wähle ich allein aus dem einen Grund aus, dass die Werkauswahl weit über die Gemeinde der Fantasy-Afficionados hinaus ein Begriff sein dürfte. Ebenso gut könnte ich auch Michael Endes Momo oder Die unendliche Geschichte oder Christopher Paolinis Eragon-Trilogie hier anführen,3 die sich einer ähnlichen, aber nicht ganz so großen Bekanntheit erfreuen wie J.R.R. Tolkiens Der Herr der Ringe, Robert E. Howards Conan-Zyklus und Joanne K. Rowlings Harry Potter.

Ohne Zweifel ist Tolkiens Der Herr der Ringe Fantasy, wahrscheinlich sogar das wichtigste Werk der Gattung. Ähnlicher Bekanntheit dürften sich die Geschichten und Filme um den Barbaren Conan erfreuen. Conan ist der Prototyp des von der etablierten Literaturkritik besonders gern verlachten und verachteten Helden in der Rolle des (vermeintlich) tumben Schlägers sowie der Begründer einer ganzen Richtung der Fantasyliteratur. Das strahlendste Icon der aktuellen Populärkultur, das mittlerweile die gesamte Welt und alle Kulturzonen durchdrungen hat, ist die Figur des Harry Potter der britischen Autorin Joanne K. Rowling.

Was die drei Beispiele von Fantasy auf einer inhaltlichen Ebene vereint, sind im Wesentlichen drei Charakteristika , die sich für eine Bestimmung von Fantasyliteratur auch im Allgemeinen zu eignen scheinen.

1. Heldinnen und Helden

Den oder die Helden – oder abstrakter gefasst – Personen, die abenteuerliche Handlungen zu bestehen haben, trifft man natürlich in nahezu allen Erzählformen an, aber für die Fantasy sind sie konstitutiv, da diese Personen fast immer auch die Handlungsträger sind.4 Dieses Element umfasst auch unscheinbare Helden, negative Helden, scheiternde Helden – also beispielsweise jemanden wie Donaldons Thomas Covenant –, aber so gut wie immer sind es Personen in abenteuerlichen Situationen, die die Handlung vorantreiben. Trotzdem wäre die Person des Helden allein sicherlich gänzlich ungeeignet, ein literarisches Werk als zur Fantasy gehörig zu bestimmen, wenn dies alles wäre, was in der Person des Helden enthalten ist. Von gleichrangiger Bedeutung wie die Existenz des Helden oder einer Gruppe von Helden in einer abenteuerlichen Situation ist aber, dass die Helden übernatürliche Aspekte aufweisen, die in der Regel auf eine übermenschliche Stärkung oder ebenso übermenschliche Behinderung hinauslaufen. Sie sind einerseits entweder selbst mit übernatürlichen Fähigkeiten ausgestattet oder sie verfügen über Hilfsmittel – etwa magische Waffen oder Unsichtbarkeit verleihende Ringe, Helme, Gürtel oder Ähnliches –, die ihnen gestatten, normalerweise existierende menschliche Beschränkungen zu überwinden. Oder sie sind eben andererseits mit übermenschlichen Hindernissen oder Behinderungen konfrontiert oder geschlagen, die ihre Aufgabe beschweren. Das berühmteste Beispiel dafür dürfte der Eine Ring aus Der Herr der Ringe sein. Oft sind übermenschliche Vor- wie Nachteile auch kombiniert, etwa wenn eine bestimmte Fähigkeit durch einen besonderen Nachteil erkauft werden musste, wie beispielsweise die außerordentliche magische Befähigung bei körperlicher Hinfälligkeit des Magiers Raistlin Majere in den Romanen der Drachenlanze. Der Held in der Fantasyliteratur ist also nicht nur durch das bloße Vorhandensein charakterisiert, sondern auch durch phantastische Eigenschaften, die die natürlichen Gegebenheiten der realen Welt in das Metaphysische hinein überschreiten.

2. Imaginäre Welten

Das Fantasycharakteristikum der imaginären Welt wurde von Fritz Leiber in seinem ersten Lankhmar-Roman wunderbar treffend beschrieben als „geschieden durch Abgründe von Zeit und merkwürdigeren Dimensionen träumt die uralte Welt vor sich hin“ (Swords and Deviltry, 5). Und genau darum geht es bei diesem zweiten Element: um die Erfindung , die Beschreibung und das Erleben einer fremden und anders aufgebauten Welt. Die imaginäre Welt muss nun nicht eine komplett von unserer Erde getrennte Welt oder sogar Dimension sein. Ganz im Gegenteil behaupten viele Fantasygeschichten, in unserer Welt zu spielen, nur in einer anderen Zeit. Etwa Robert Howards Conan, dessen Abenteuer ca. 12.000 Jahre vor Beginn der Geschichtsschreibung, aber auf der Erde, spielen. Auch unsere historisch verbürgte Welt kann aber Handlungsort einer Fantasygeschichte sein, wie beispielsweise im Rahmen der vielen Adaptionen der Artusgeschichte, nur muss ein Element der Verzauberung hinzutreten. Oder die Geschichten berichten, dass es parallele Realitäten gibt, auf die man von unserer Welt aus zugreifen kann. Das können einige relativ kleine, umgrenzte Orte wie die Zauberschulen Hogwarts und Beaux Bâtons aus den Harry Potter-Romanen sein oder es handelt sich um komplette Welten, die auf einer anderen, mehr oder weniger unbestimmten Realitätsebene gefunden werden wie das Narnia von C.S. Lewis. Tolkiens Mittelerde schließlich ist der bekannteste Vertreter einer Phantasiewelt, die mit der unseren angeblich identisch und doch imaginär ist, handelt es sich doch der Überlieferung des Roten Buches nach wie bei Howard um unsere Erde in einer unbestimmbaren Vergangenheit. Immer handelt es sich bei diesem Merkmal der Fantasy aber um Welten, die auf irgendeine Weise mit der empirischen Realität der Welt, in der wir Leser leben, in einer Weise gebrochen haben, dass ein Zugang zu ihr seitens unserer Realität aus Sicht der Erzählung nicht möglich oder nur ausgewählten Personen möglich ist sowie aus Sicht der Leserin, des Lesers und der Naturwissenschaften prinzipiell unmöglich bleiben muss. Zudem handelt es sich um phantastische Welten, da das Übernatürliche in ihnen faktisch ist. Diana Waggoner bezeichnet sie deshalb zutreffend als „zweite Realitäten, deren metaphysische Voraussetzungen anders als die der realen Welt sind“ (Waggoner 1978, 4). Das ändert natürlich nichts daran, dass die imaginären Welten doch fest mit der realen Welt verbunden sind. Ihre Schöpferinnen und Schöpfer können der ersten Welt mit ihren zweiten Welten nicht entkommen (und wollen dies auch gar nicht), die erfundenen Welten schöpfen vielmehr bewusst aus der realen Welt und kommentieren diese durch die Gestalt und den Inhalt der in ihnen spielenden Erzählungen.

3. Magie

Die Magie im Sinne von Praktiken, die den Verlauf von Ereignissen auf übernatürliche Weise beeinflussen, die Magie ist das dritte wichtige Merkmal oder Charakteristikum von Fantasy. Magie trifft man meistens zusammen mit vortechnologischen Gesellschaftsformen oder historischen Settings an, in und unter denen die Fantasyhandlung spielt. Die ‘kritische’ Technologieschwelle, die dabei meist nicht überschritten wird, ist in der Regel die Erfindung von Schwarzpulver und Dampfmaschine, auch wenn es zuhauf Beispiele auch für eine Überschreitung dieser Schwellen gibt.5 So ist beispielsweise im Dritten Zeitalter Mittelerdes ja das Schwarzpulver auch schon erfunden worden, denn die Zauberer Gandalf und Saruman verstehen sich beide auf dessen Nutzung. Entscheidend ist aber nicht der technologische Stand, sondern die Magie, als eines Faktums – Fantasy erzählt Geschichten, in denen Magie wirklich funktioniert („A Fantasy is a book or story […] in which magic really works“ (Carter 1971, 6). Die Existenz und Macht übernatürlicher Kräfte ist in Fantasysettings ein nachweisbares Faktum (Waggoner 1978,.10). Das Wesentliche ist dabei nun natürlich nicht der Werkzeugcharakter der Magie (vgl. Waggoner 1978, 22). Im Rahmen einer Abenteuergeschichte ist es zunächst einmal egal, ob der Held mit magisch erzeugten Feuerpfeilen beschossen wird oder sich unter einem Kugelhagel ducken muss. Das Wesentliche ist, dass mit Hilfe der Magie auch wieder ein Bruch mit der Realität erzeugt wird, wie dies schon durch die imaginäre Welt und den übermenschlichen Helden geschah. Fantasy begibt sich immer auch auf das Gebiet der Metaphysik.

Es handelt sich in allen drei die Fantasy inhaltlich umschreibenden Elementen um die Einführung beziehungsweise Nutzung des Phantastischen als eines die Realität des weltlichen Publikums überschreitenden Moments. Das unterscheidet sie insbesondere von der gerne in einem Atemzug mit erwähnten Science Fiction, ihrer literarischen Schwester aus dem Bereich der „spekulativen Fiktion“ (Heinlein 1953, 1188). Science Fiction muss aber, bei allen möglichen Ideen, im Rahmen einer zumindest theoretischen wissenschaftlichen Plausibilität bleiben. Dieser Beschränkung unterliegt die Fantasy nicht. Science Fiction trifft unter Umständen wildeste Annahmen über die Entwicklung der physischen Realität, Fantasy jedoch macht Aussagen über die metaphysische Realität. Das Übernatürliche ist immer Teil und Thema einer Fantasyerzählung.

Conditio sine qua non für die Fantasy als Genreliteratur ist damit das Übernatürliche als Handlungsbestandteil, das in den meisten Fällen, wenn auch nicht immer, durch das Vorhandensein der drei genannten Bestandteile Held, imaginäre Welt und Magie eingeführt wird. Das Übernatürliche ist also in der Fantasy vorhanden und es ist wirksam – es ist eine Tatsache mit dem ontologischen Anspruch auf Faktizität, auch wenn es mit dem realweltlichen Vokabular und Erkenntnisstand nicht erklärt und rational verstanden werden kann. Robert A. Heinlein hat es deshalb auch einmal die unerklärte Unmöglichkeit genannt („unexplained impossibility“; Heinlein 1953, 1188). Damit sind die Fantasy und die von ihr beschriebenen Ereignisse und Welten definitiv nicht Bestandteil der empirischen Welt, die wir Rezipienten als unsere Lebenswelt miteinander teilen. Fantasy ist immer auch Metaphysik, ihre Erzählungen sind metaphysisches Spiel oder Spekulation. Und daraus lässt sich nun doch eine Definition von Fantasy ableiten, genauer gesagt zwei Definitionen, eine weitgefasste und eine engere Definition.

Fantasy, Definition I

Beruhend auf dem Charakteristikum, dass Fantasy metaphysische Annahmen als Faktum hinstellt, kann in einer weitgefassten Definition von Fantasyliteratur all das als zur Fantasy gehörig bestimmt werden, das ebensolche Annahmen enthält. Aber etwas muss noch hinzukommen. Fantasy tritt mit dem Anspruch auf, ‘wahre’ Geschichten zu erzählen. Wahr sind die Erzählungen in dem Sinne, dass das Erzählte als real präsentiert wird und Ansprüchen an werkimmanente Konsistenz und Folgerichtigkeit genügt: Was der Autor, die Autorin da erzählen, ist innerhalb der Geschichte wahr und entspricht den Gesetzmäßigkeiten dieser Welt (vgl. On Fairy Stories, 36). Wahrhaftigkeit und Folgerichtigkeit lassen sich zur Ernsthaftigkeit zusammenfassen und Ernsthaftigkeit ist vielleicht die beste Umschreibung für den Wahrheitsanspruch des Phantastischen und Transzendenten in der Fantasy. Ist diese Ernsthaftigkeit nicht gegeben, handelt es sich nicht um Fantasy. Das gilt auch für humoristische Fantasy. Geschichten wie der Scheibenwelt-Zyklus von Terry Pratchett oder Computerspiele wie Simon the Sorcerer sind Fantasy. Sie erzählen zwar Geschichten, deren Sinn in erster Linie darin besteht, lauthalses Lachen hervorzurufen, doch die Geschichten spielen in Welten von innerer Konsistenz und mit dem Anspruch als Welt oder Universum ernst genommen zu werden, ganz wie Mittelerde oder Krynn. Anders ist dies bei Werken, die wirklich nur Parodie sind, etwa Bored of the Rings oder Barry Trotter, wo es sich schon angesichts des Titels erübrigt, auszuführen, was denn da parodiert wird. Das ist reines Lustspiel oder Comedy, die mit Versatzstücken der Populärkultur einzig zu dem Zweck arbeitet, Aufmerksamkeit auf sich und die meist sich stark auf die reale Welt beziehenden Gags zu lenken.

Was erzählt wird, enthält also Übernatürliches und ist dementsprechend unter normalen Umständen unmöglich. So gesehen sind dann nicht nur Der Herr der Ringe oder Fluch der Karibik oder Harry Potter Fantasy, sondern auch die Bibel, der Koran und eine ganze Reihe anderer Erzeugnisse menschlicher Wissens- wie Erzählkultur, denn die Bibel und die klassische Literatur sind in literaturtheoretischer Hinsicht gleichermaßen mythologische Werke, wie der Literaturwissenschaftler Northrop Frye völlig zu Recht festhält (1990, 54). Bücher wie den Koran oder die Bibel in die Fantasyliteratur aufzunehmen, Bücher also deren Einfluss jegliches andere Erzeugnis menschlicher Schaffenskraft, sei es beispielsweise Marx´ Kapital oder Einsteins Relativitätstheorie, bei weitem übertreffen, das mag zunächst aufstoßen, ist jedoch von zwingender Folgerichtigkeit, da in allen Religionsschriften die Existenz des Numinosen, des Transzendenten, der Metaphysik ebenso erklärt wie vorausgesetzt wird und sie oftmals zudem typische Fantasymotive aufweisen.

Diese Breite der Fantasymotive und des Übersinnlichen in der Literatur zeigt, dass die weitgefasste Definition von Fantasy nicht befriedigen kann, da sie, zuzüglich aller möglichen Missverständlichkeiten, das Genre nicht scharf genug umreißt. Eine engere Definition von Fantasy setzt nun natürlich auch die Faktizität des Übernatürlichen als notwendige Bedingung für die Definition von Fantasy voraus. Doch was sind dann diejenigen Bedingungen, die erfüllt sein müssen, um das Genre befriedigend einzugrenzen und so zu dem Wesen von Fantasy zu kommen? Formale Kriterien scheinen dafür, wie ausgeführt, nicht angemessen, viel mehr ist es vor allem ein inhaltlicher Faktor, der den Ausschlag für die engere Definition von Fantasy geben wird.

Fantasy, Definition II

Die entscheidende Bedingung der engeren Definition von Fantasy ist, dass die Geschichten und Erzählungen eben solches sind – Geschichten. Geschichten, die in Form von Texten, Malerei, Comics, Filmen, Spielen, Musikstücken auftreten können, Geschichten aber vor allem, die keinen nach außen weisenden Anspruch auf Wahrhaftigkeit erheben. Gerade habe ich die Ernsthaftigkeit angesprochen, die Fantasy in Form eines innerhalb ihrer Geschichten liegenden Wahrheitsanspruches aufweisen muss: Was der Autor, die Autorin da erzählen, ist innerhalb der Geschichte wahr. Dieser Wahrheitsanspruch gilt jedoch im Falle der Fantasy der engen Definition nur für die erschaffene fiktionale Welt. Kein Erzeugnis der Fantasy erhebt für sich den Anspruch, auch nach außen hin wahr zu sein, also Realität darzustellen. Das ist bei der Bibel und dem Koran natürlich ganz anders! Kein Mensch bei klarem Verstand, erst recht nicht die Autorinnen Margaret Weis und Tracy Hickman oder Raymond Feist und Janny Wurtz, behauptet dass die Welt der Drachenlanze, Krynn, oder die Welten der Riftwar-Saga Midkemia und Kelewan wirklich Bestandteil unseres real existierenden Universums seien. Das gleiche gilt für Fantasywelten und -bereiche, die angeblich Bestandteil der realen Welt sind oder waren. Und entgegen anders lautender Berichte dürfte es wohl auch niemanden geben, der auf dem Bahnhof King´s Cross ernsthaft nach dem Zugang zum Bahnsteig 93/4 sucht. Die Geschichten der Fantasy geben sich als Fiktion zu erkennen.

Damit ist eine handhabbare Definition von Fantasy erreicht. Fantasy ist demnach ein literarisches (sowie mehr und mehr auch cineastisches und in weiteren Ausdrucksformen auftretendes) Genre, dessen zentraler Inhalt die Annahme des faktischen Vorhandenseins und Wirkens metaphysischer Kräfte oder Wesen ist, das als Fiktion auftritt,6 die als Fiktion auch verstanden werden soll und muss.7 Fantasy ist, wie auch das Märchen und der Mythos, „metaphysische Literatur“ (Suvin 1979, 42). Diese Definition ist immer noch sehr weit gehalten und kann unter ihrem Dach eine Vielzahl von Erscheinungsformen der Fantasy beherbergen. Tatsächlich ist das Feld der Fantasy auch recht groß und hat eine ganze Reihe von weiteren Untergattungen oder Typen ausgebildet, etwa Epic Fantasy, Sword & Sorcery oder Science Fantasy.

Das Übernatürliche ist aber nicht nur das entscheidende inhaltliche Merkmal der Definition von Fantasy – das erste und wichtigste Definiens des Definiendums Fantasy also – es ist vor allem für die besondere Wirkung der Literatur des Genres verantwortlich und in ihm findet sich dann auch der Sinn von Fantasy:

Die Anwesenheit des Übernatürlichen als Fakt sorgt für die Verzauberung und die, von einer empirischen Warte aus gesehene, Irrealität der Erzählungen, die aber darauf hinweist, dass es neben der physischen Realität unseres materiellen Universums – zumindest der Idee und den Glaubensrichtungen nach – noch etwas anderes gibt, das jeder Mensch für sich und nach eigenen Bedürfnissen füllen kann. Ich gehe davon aus , dass es ein in der Psyche der Menschen angelegtes Bedürfnis nach Metaphysik und von die Erfahrungsgrenzen überschreitenden Erklärungsmustern gibt, auch wenn dies nicht bei allen Personen zum Tragen kommt. Dieses Bedürfnis wird von übernatürlichen Inhalten und Themen bedient. Im Rahmen der Fantasy entsteht auf dieser Grundlage eine affektive Beziehung von Erzählung und Publikum, der die Vielzahl der möglichen subjektiven Bedeutungen entspringt, die – neben der Unterhaltungsqualität – als eine Erklärung für die Attraktivität der Gattung dient. Die Bereicherung kann dabei von unterhaltender Träumerei bis zum Gewinn umfassender subjektiver Sinnstiftung reichen. An einem Ende dieser Skala mag auch der nüchternste Charakter ab und an ein bisschen mit der Realität spielen wollen und Magie und Drachen in anderthalbstündiger Filmform zur Entspannung nutzen. Am anderen Ende der Skala mag, aus Anlass der Rezeption von Fantasy, das ganze Leben auf bestimmte metaphysische Überzeugungen hin neu ausgerichtet worden sein.

Was ich damit versucht habe zu beschreiben, ist eine Kette von Bedingungen. Die Kette der Bedingungen sieht so aus, dass erstens das Übernatürliche Teil von Fantasy ist, als Übernatürliches zweitens auf einen größeren Sinnzusammenhang verweist und diesen innerhalb der Geschichten drittens Realität sein lässt und damit das Publikum, das genau weiß, dass das, was es hier vorgesetzt bekommt, eine süße Lüge ist, damit viertens verzaubert und dessen metaphysisches Bedürfnis spielerisch erfüllt.

Im Rahmen der Definition ist es angebracht, noch ein paar Worte zur Abgrenzung zu anderen Genres anzuschließen. Selbst die hier entwickelte enge Definition von Fantasy ist noch geeignet, die gesamte phantastische Literatur zu umfassen und wäre damit unbefriedigend, da etliche Genres mit durchaus eigenständigen Merkmalen damit unzulässig der Fantasy einverleibt würden: Wird jegliche Fiktion übernatürlichen Inhaltes einbezogen, so fallen auch Fabel, Märchen, der Horror und andere Subgenres unter das Label Fantasy. Hänsel und Gretel oder Stokers Dracula wird man aber zu Recht nicht als Fantasy begreifen wollen.

Und das will ich auch nicht mit meiner Definition gar nicht erreichen. Aber abrücken will ich auch nicht von ihr, denn in der vorliegenden Form beschreibt sie Fantasy suffizient. Benachbarte Genres können eine trennscharfe Abgrenzung durch das Anlegen eigener Kriterien erreichen. Handelt es sich also um fiktionale Werke, die das Übersinnliche (auch) zum Inhalt haben, so fallen sie gleichwohl nicht unter die Fantasy, wenn eigene Anforderungen für sie formuliert werden können. Am Beispiel des Horrorgenres lässt sich dies wie folgt zeigen.

Horrorliteratur weist – nicht immer, aber doch wohl in der Mehrheit – übernatürliche Inhalte auf: Geister, Untote, wirksame Verfluchungen und ähnliches gehören zum Stammrepertoire des Horrors. Bei Horror handelt es sich aber nicht um Fantasy, denn Horror ist ein Genre, das die Intention besitzt, durch die Erzeugung von Angst zu unterhalten (vgl. Carroll 1990, 53). Hans Baumann sagt ganz ähnlich: “Was der Horror bei seinen Rezipienten auslöst, ist ein Gebräu aus Lust und Angst – Lust freilich, die aus der Angst geboren wird” (Baumann 1989, 36). Dazu bedarf es aber einer Berührungsfläche von Realität und Fiktion, denn der Horror erzeugt nur lustvolle Angst, wenn eine durch die Erzählung aufgebaute Möglichkeit der Berührung mit dem übernatürlichen Schrecken gegeben ist. Die wichtigsten Interpreten des Horrors, Roger Caillois, Louis Vax, Hans Baumann, Noël Carroll, sind sich einig, dass diese Wirkung dadurch erzielt wird, dass das (übernatürliche) Schreckliche in die reale Welt eindringt: “Die phantastische Kunst läßt aber imaginäre Schrecken inmitten einer realen Welt entstehen” (Vax 1974, 12; vgl. sinngemäß Gleiches, deutlich ausführlicher, bei Baumann 1989, 71 – 80, und Caillois 1974, 46 – 53). Termini, die in diesem Zusammenhang – dem Zusammenhang der Brüchigkeit der realen Welt durch den Überfall von Schrecken aus dem Jenseits, aus anderen Dimensionen oder was immer an phantastischen Konstrukten vorstellbar ist – immer wieder benutzt werden, sind die des “Risses” in unserer Wirklichkeit (Caillois 1974, 45 u.ö.) oder des “Einbruchs” in unsere Welt (Vax 1974, 17; Baumann 1989 20 u.ö., bei Baumann auch vielfach “Riss”). “The genre of horror can be defined”, schreibt Carroll, “in terms of the emotions that such works are designed to elicit from audiences. That is, works of horror are those designed to function in such a way as to promote art-horror[8] in audiences” (Carroll 1990, 53). Dadurch dass das Genre darüber definiert wird, dass sein Zweck in der Erzeugung von bestimmten Gefühlen des Publikums liegt, grenzt sich das Genre aus sich heraus von der Fantasy ab, mit der es deren zwei wesentliche Charakteristika teilt. Da sich das Genre aber durch das konstitutive Merkmal der Erzeugung eines Effektes völlig von Fantasy abgrenzt – die auch Effekte erzeugt, sich aber nicht von deren Erzeugung her definiert – ist die nötige Trennschärfe gegeben und die gegebene Definition von Fantasy steht nicht in der Gefahr, ein ihr wesensfremdes Genre zu okkupieren. Und das Publikum empfindet auch ganz so und denkt deshalb völlig richtig und automatisch bei Fantasy an Der Herr der Ringe oder Harry Potter, würde aber Kings Shining oder George A. Romeros Zombie-Filme sicherlich nicht als Fantasy verstehen. Ähnliches in Bezug auf grundlegende Strukturmerkmale, die ein Genre von der Fantasy abgrenzen, könnte über die Fabel, das Märchen oder andere Genres innerhalb der Phantastik gesagt werden.

 

Fantasy und Mythos

Die zentrale Rolle des Übernatürlichen in der Fantasy findet sich auch im Mythos, der Keimzelle aller Literatur, in besonderem Maße aller phantastischen Literatur:9 „Mythen sind die Grundlage allen Geschichtenerzählens“ (Clute/ Grant 1997, 675). Und Schneidewind sagt zu Recht: „Was immer man genau unter phantastischer Literatur und Fantasy versteht, eines zeichnet diese stets aus: So gut wie immer finden wir darin Topoi oder Motive aus älteren Mythen“ (Schneidewind 2007, in Vorbereitung).

Der Mythos ist ebenfalls eine auf das Übernatürliche zwingend zurückgreifende Erzählung, die allerdings Anspruch auf externe Wahrhaftigkeit erhebt oder zumindest zu ihrer Entstehungszeit erhob; er hatte anerkanntermaßen den Status eines „Sachtextes“ inne (Rühling 1997, 29). Denn bis in das Mittelalter hinein war der Mythos das Werkzeug der symbolisch vermittelten Welterklärung,. Der Mythos entspricht somit der weiten Definition von Fantasy. Als ‘Sachtext’ diente der Mythos ursprünglich dem besseren Verständnis der Welt in einer besonderen Form. Er erzählte zwar vermeintliche Fakten, wenn er von Göttern und Dämonen und ihrem Einfluss auf das Leben der Menschen berichtete, seine eigentliche Rolle war jedoch nicht, Geschichten über Stier- und Löwenmenschen, fliegende Pferde und schlangenleibige Kriegerinnen zu berichten. Vielmehr ging es im Mythos immer darum, durch die phantastische Erzählung Sinn zu vermitteln und den schutzlos in der Welt treibenden Menschen mit eben dieser Welt zu versöhnen, die ihm sein Leben in Form von Naturkatastrophen, Krankheiten, Hungersnöten, feindlichen Nachbarn und despotischen Herrschenden gleichermaßen zum Rätsel wie zur Hölle machen konnte.

Die Fantasy bedient sich nun des Mythos erstens in Form einer Fundgrube der Bilder und Metaphern (oder auch als einer „Quelle von Symbolen“; Waggoner 1978, 21): Es ist auch in der modernen Fantasy kaum eine Figur zu finden, die nicht in den alten Mythen auftaucht; seien dies Drachen bei Harry Potter, Zwerge in Mittelerde, lebende Mumien bei Conan, Pegasi in Erl, Riesen bei Thomas Covenant, schönste Elfen im Albenland, mörderische Dunkelelfen im Geborgenen Land oder durchgeknallte Zentauren als Q-Ersatz in der Zentralen Untergrund-Polizei und Step-Aerobic-Feen in der Bekanntschaft von Jon-Tom Meriweather – alles ist in den Mythen schon einmal da gewesen.

Wichtiger aber ist der Mythos auch für die Fantasy zweitens in seiner sinnstiftenden Funktion. Das heißt nun nicht etwa, dass moderne Fantasy funktional mit einem Welterklärungsanspruch und also wie ehedem als ‘Sachtext’ aufträte – das geht nicht mehr (vgl. Waggoner 1978, 6ff.). Es heißt aber, dass sich Fantasy darum bemüht, eine Stimmung zu erzeugen, die den Rezipierenden von Buch, Film, Comic, Kunst, Musik und Spiel nicht nur in eine andere Welt versetzt – das tut die Spionageerzählung auch, wenn sie die Zuschauer mit Rollo Martins das Nachkriegs-Wien nach Harry Lime durchsuchen lässt. Es geht vielmehr darum, sie oder ihn in eine Welt zu versetzen, die mit einem faktischen transzendentalen Überbau ausgestattet ist und so das Bedürfnis nach Transzendenz und metaphysischer Wirklichkeit zu bedienen, wenn auch nur mehr als Spiel und Experiment. Und darin findet Fantasy ein Alleinstellungsmerkmal: sie ist die einzige Literaturform, die diese Weite der Thematik aufweist und ernst nimmt und die mit der Einbeziehung des Übernatürlichen in die Unendlichkeit verweist. Lin Carter erklärt in diesem Sinne: „Wir lesen Fantasy weil wir sie lieben, wir lieben sie, weil sie eine Quelle für Wunder und Rätsel und Freude ist, die wir nirgends sonst finden können“ (Carter 1973, 1).

Fazit

Fantasy ist metaphysische Literatur, die im engeren und gebräuchlicheren Sinne (wenn man an Fantasy von Martin, Tolkien, Rowling, Hennen, Hohlbein usw. denkt) fiktional ist. Fantasy geht es mit dem Ausblick in die Metaphysik immer auch darum, etwas Unsichtbares, etwas hinter der physischen Welt (meta ta physika!) Liegendes sichtbar zu machen und Grenzen zu überschreiten (Jackson 1981, 48). Fantasy ist dann nicht mehr im gleichen Maße wie der Mythos um Sinnstiftung bemüht – obwohl sie dies vielleicht auch erreicht mit ihren Parabeln, Allegorien und der Überzeugungskraft ihrer Bilder. Aber Fantasy bricht bewusst aus der realen Welt aus, um auf die unendlichen Möglichkeiten der Imagination zu verweisen (vgl. Mathews 2002, 1f.), die als geistige Leistung Realität wird. Insofern bleibt in der modernen Fantasy etwas von der Kraft des Mythos und des mythischen Denkens erhalten: das Bemühen um eine Verbindung von Realität und Phantasie; letztere verstanden als freies Spiel des Geistes mit der Möglichkeit;10 eine Verbindung, die die nüchterne Realität so nicht zuzulassen vermag. Als solches kann Fantasy dann doch ganz individuell Sinn stiften und sogar Wunden heilen.

 


1 Der Begriff der literarischen Gattungen wird ebenfalls nicht einheitlich gebraucht, obwohl er sich als der wichtigste Begriff für die Einordnung von literarischen Werken erweist, da diese zuerst über Gattungszugehörigkeiten in Beziehung zu anderen Werken stehen (vgl. Todorov 1975, 11). Im Rahmen der Gattungslehre hat sich jedoch ein gewisser Konsens herausgestellt, auf den meist Bezug genommen wird, so auch hier. Demnach gibt es wenige Hauptgattungen wie Lyrik, Epik, Dramatik und eine Vielzahl von ihnen zuordbaren Untergattungen oder Subgenres. (vgl. Müller-Dyes 1997 sowie zur phantastischen Literatur Todorov 1975, Kap. 1 und 2). Natürlich kann man sich der Gattungszuordnung mit guten Gründen auch gänzlich entziehen, wie es sich etwa die bekannte Science Fiction- und Fantasy-Autorin Ursula Le Guin wünscht, die ihre Erzählungen am liebsten einfach als „novels“ bezeichnet sehen würde (Le Guin 1979, 16), aber dieser Weg verbietet sich für ein Buch wie das vorliegende, das ja gerade in ein bestimmtes Genre schließlich einführen will. Den Begriff Genre benutze ich im Übrigen synonym zu Gattung. Es ist an dieser Stelle noch nicht nötig, auf den ansonst wichtigen Unterschied von historischen und systematischen Gattungskonzeptionen einzugehen.

2 Vgl. bspw. Müller-Dyes 1997; Pesch 2001, 29 -39; Todorov 1975, 7 – 24; Frye 1965.

3 Jedoch nicht die Werke von beispielsweise Markus Heitz, Bernhard Hennen, James Barclay, Terry Goodkind, Robert Jordan, George R.R. Martin, Ed Greenwood, Eoin Colfer, Robert A. Salvatore und anderen gerade seit Beginn des aktuellen Jahrzehnts sehr populären Fantasyautoren, die ihre Popularität jedoch nahezu ausschließlich innerhalb der Gemeinde der Fantasyleser genießen (mit Ausnahme Martins, der als derzeit einer der wichtigsten Impulsgeber der Fantasy aufgeführt sein soll, aber auch auf anderen literarischen Gebieten heraus ragt).

4 Das ist eine Einschränkung von Fryes berühmter Klassifizierung des literarischen Helden als „somebody doing something“ (Frye 1990, 33), an der sich die Bezeichnung des Helden sonst gerne anlehnt, um auf den in der Regel abenteuerlichen Charakter von Fantasy zu verweisen.

5 Es gibt auch (und zwar in zunehmender Form) so etwas wie Science Fiction, die sich der Fantasy bedient, etwa in Form des Shadowrun-Rollenspielsystems und der aus ihm abgeleiteten Romane oder in Dennis McKiernans für das Genre außerordentlich philosophischem Roman Caverns of Socrates und in Tad Williams Otherland-Zyklus – in beiden Fällen meisterlich als erzählerisches Mittel genutzt. Shadowrun ist soetwas wie High-Tech Fantasy, denn hier finden sich (auch) alle Charakteristika des Genres, nur in einem ungewöhnlichen Setting. Otherland und die Caverns sind keine Fantasy, da hier das Übernatürliche (s.u.) nicht wirklich existent ist.

6 Damit stimmt die engere Definition von Fantasy recht weit mit der Fantasydefinition Colin Manloves überein: „fantasy is: a fiction evoking wonder and containing a substantial and irreducible element of the supernatural with which the mortal characters in the story or the readers become on at least partly familiar terms“ (Manlove 1975, 1 u. 10f.). Ich ziehe es im Gegensatz zu Manlove jedoch vor, das Gefühl des Rezipienten („evoking wonder“) außer acht zu lassen, denn die Definition von Fantasy kann nicht zuverlässig von den Eindrücken der Leserinnen und Leser abhängig gemacht werden. Zudem gibt es durchaus Fantasy, deren zentrale Charaktere nicht sterblich sind, etwa den Titelhelden von John Brunners Traveller in Black oder die meisten Helden aus Bernhard Hennens Elfen-Zyklus (bekannte Beispiele, das muss zu Manloves Entschuldigung gesagt sein, die dieser noch nicht kennen konnte, aber es gab auch vor 1975 nicht sterbliche Fantasyprotagonisten, etwa Dunsanys Lirazel).

7 Verstanden werden „muss“, um sie angemessen zu begreifen: Die Leserinnen und Leser könnten natürlich anfangen, Crom, den Stammesgott des barbarischen Conan Robert E. Howards, anzubeten. Damit hätten sie aber den Charakter der Conangeschichten falsch erfasst.

8″Art-horror” ist ein von Carroll entwickelter Terminus, der durchaus im Deutschen als “Kunsthorror” verstanden werden kann. Denn es handelt sich um eine künstliche Angst. Art-horror bezeichnet einen Horror, den der Rezipient analog zu dem Protagonisten einer Horrorgeschichte empfindet, der sich unheimlicher Gefahr gegenüber sieht. Für den Rezipienten ist dies natürlich keine echte Gefahr, also ist es “künstlicher Horror” (vgl. Carroll 1990, 27). Besser ist allerdings die Unterscheidung Baumanns in “Grauen” und “Horror”. Grauen ist, was die Protagonisten einer Horrorstory angesichts der Ereignisse fühlen, denen sie ausgesetzt sind; Horror empfindet das Publikum in der Form der lustvollen, gefahrlosen Angst, die ihnen das Lesen oder Zuschauen bietet (vgl. Baumann 1989, 31).

9 Mythos ist eine altgriechische Vokabel, die zunächst bloß „Geschichte“ bedeutete.

10 So James Engell in einer treffenden Charakterisierung des griechischen Wortes phantasia: „Coming from the Greek, phantasia carried with it the suggestion of creativity and play of mind, with the possible implication of license and illusion as a byproduct of that freedom.“ (vgl. Engell 1981, 173; Hvhbg. i. Orig.).

 

(Frank Weinreich, Bochum 06/´07)