Die älteste und stärkste menschliche Gefühlsregung ist die Angst.
(Howard Philipps Lovecraft: Die Literatur der Angst)
Anmerkungen zu einer ‚schrecklichen’ Beschäftigung.
Vortragstext, zuerst gehalten auf dem 3. Elbenwaldspektakel auf Burg Bilstein, 27.6.2008
© Frank Weinreich
Howard Philipps Lovecraft, einer der ganz großen Autoren des Horrorgenres schreibt in seinem Fachbuch Die Literatur der Angst folgendes: „Die älteste und stärkste menschliche Gefühlsregung ist die Angst, und die älteste und stärkste Art von Angst ist die Angst vor dem Unbekannten“ (Lovecraft 1995, 7).1 Ein paar Seiten weiter schreibt Lovecraft, es gehe darum, „die schrecklichste Vorstellung, die das menschliche Gehirn befallen kann“ hervorzurufen (12).
– Wie geht das?
– Warum sollte man sich so etwas antun?
Das sind die beiden Fragen, um die es in diesem Vortrag gehen wird.
Horror als Literatur der Angst – das bedeutet auch, dass ich mich nicht allein mit Büchern und Kurzgeschichten beschäftigen werde, sondern auch andere Ausdrucksformen gleichberechtigt mit einbeziehe. Insbesondere der Horrorfilm ist Bestandteil des Horrorgenres, wahrscheinlich seit einigen Jahrzehnten sogar der wichtigste.
Aber nun zum Horror selbst. Horror als Genre der Literatur, der Kunst, insbesondere der Filmkunst gesehen, was ist das eigentlich? Und warum erschaffen Menschen entsprechende Genrewerke oder stellen sich ihnen als leidend genießendes Publikum zur Verfügung? Besonders letzteres wird sich nach kurzer Überlegung als zunächst einmal schwierig zu beantworten erweisen. Warum beschäftigt man sich mit Horror? Die Werke des Horrors lassen sich auch ohne Definition recht einfach einordnen, sollte man meinen. Horror hat mit Angst und Schrecken zu tun, die zudem oftmals über die Darstellung ekliger Dinge und ausgeprägter Gewalt erzeugt werden.
Vorüberlegungen – and onward came the monster …
Horror, das sind Geschichten, die von schrecklichen Dingen erzählen, die Menschen zustoßen. Denken Sie an die Serienmorde in Das Schweigen der Lämmer oder an die armen Astronauten in Alien, die einer nach dem anderen von einem Außerirdischen verspeist werden. Solche Geschichten sind Horrorgeschichten.
Ja?
Nein, sind sie nicht! Allenfalls eingeschränkt.
Das Schweigen der Lämmer ist eine Geschichte, die inhaltlich – es geht ja um nichts anderes als um Mord – auch Sonntagabends im Tatort erzählt werden könnte. Oder sogar in Der Kommissar mit Erik Ode. Naja, vielleicht doch nicht ganz, denn es besteht ein gewisser Unterschied zwischen einem deutschen Krimi, besonders in der Form des betulich tätersuchenden Krimis im Kommissar, und einem brillant gemachten Thriller.
Und Alien? Das ist reine Science Fiction! Ein Raumschiff trifft auf eine fremde Lebensform und es kommt zum Erstkontakt mit Wesen einer anderen Welt – ganz genau so wie in Star Trek, wo es unzählige Erstkontaktfolgen gab. Nur dass dieses Alien nicht ganz Samstagnachmittagskompatibel ist. Andererseits wäre uns vielleicht einiges erspart geblieben, wenn Captain Kirk frühzeitig darauf gestoßen wäre.
Das sehen Sie anders? Es ist doch Horror?
Tja, zumindest ist es ihm wohl sehr stark verwandt und natürlich gibt es starke Überschneidungen zum Horror, denn die Wirkung dieses Thrillers und dieser Science Fiction ist zu großen Teilen der des Horrors gleich. Womit auch schon festgehalten werden kann, dass die Genregrenzen, wie so oft, brüchig sind, dass sie verschwimmen können.
Darauf komme ich noch zu sprechen.
Definition – was graut uns da?
Zunächst aber: Was ist denn dann das Horrorgenre?
Ähnlich wie bei der Fantasy, aber anders als bei der Science Fiction eignet sich das Wort Horror selbst überhaupt nicht zur Charakterisierung des Genres.2 Science Fiction – also wissenschaftsbasierte Fiktionen – beschreibt schon ganz gut, was dieses Genre ausmacht, das Geschichten vom noch nicht Möglichen erzählt, welches aber durchaus Realität werden kann. Denken Sie an Jules Vernes Reise zum Mond. Fantasy – also Phantasie – kann alles mögliche sein, angefangen beim romantischen Phantasieren über das Mädchen auf dem Schulhof bis zu den Welten von Schwert und Magie. Und auch das Wort Horror ist zunächst ein unbestimmter Begriff mit vielen möglichen Inhalten. Horror ist ein Wort das gleichlautend aus dem Lateinischen kommt und verschiedene Bedeutungen haben kann, aber im Allgemeinen als Beschreibung eines Schreckens, einer Angst und der damit verbundenen körperlichen und geistigen Empfindungen verstanden wird. Wenn man sich auf Kunst und Literatur beschränkt, wenn man also den echten Horror, wie Menschen ihn in Auschwitz, Kambodscha, Ruanda verübten, außer Acht lässt, so kann der bloße durch eine Erzählung oder ein Kunstwerk ausgelöste Schrecken in allen möglichen Genres verwirklicht werden. Krimis, Fantasy, Science Fiction, Märchen – all das kann Horror auslösen. Womit uns also der Schrecken allein nicht weiter bringt.
Übrigens ebenso wenig wie die Gewaltdarstellung, die ebenfalls in allen Genres vorkommt und auch dort die exotischsten und ekligsten Varianten umfassen kann.
Trotzdem sind Schrecken und Angst die zentralen Wirkungselemente des Horrors. Wirkung? Ja, denn man kann die Genredefinition von dieser Seite her aufziehen. Werke des Horrorgenres sind daraufhin angelegt, bei ihrem Publikum Schrecken und Angst, wenigstens aber eine gewisse Beunruhigung heraufzubeschwören. Und zwar auf eine bestimmte Art und Weise, die sich als der spezifische Unterschied zum Thriller und anderen Genres erweist.
Der Schrecken im Horror, da sind sich die wichtigsten Definitionen einig (Caillois 1974, 46; Vax 1974, 17;3 Baumann 1989, 109; Carroll 1990, 145), dieser spezifische Schrecken, besteht darin, dass Genrewerke zum Inhalt haben, dass ein übernatürliches Ereignis in die reale Welt einbricht. Natürlich sind die Werke an sich fiktionaler Natur, es wird also nicht behauptet, dass ein Kränzchen von Vampiren und Werwölfen wirklich in Köln auf dem Alter Markt auftaucht. Aber sie spielen mit dem Gedanken, dass es so sein könnte und beziehen daraus ihre spezifische Wirkung. Die Werke sind, so Hans Baumann, „Fiktionen [innerhalb derer] das Unmögliche in einer Welt möglich und real wird, die der unseren weitgehend gleicht, und wo Menschen, die uns ebenfalls gleichen, auf diese Anzeichen der Brüchigkeit ihrer Welt mit Grauen reagieren“ (Baumann 1989, 109).
Dieser Definition schließe ich mich an, denn sie enthält die wesentlichen Bestandteile, die nötig sind, um den Horror zu charakterisieren:
1. Die reale Welt ist wichtig, um die spezifische Art des Schreckens überhaupt erst auslösen zu können.
In phantastischen Welten wie Mittelerde, Krynn oder auch der Zauberschule Hogwarts, in denen es Trolle, Drachen, Vampire, Basilisken, Monsterspinnen und ähnliches gibt, stellen diese zwar lebensbedrohliche Gefahren dar, auf die die Protagonisten der Geschichten unter Umständen mit großer Angst reagieren, aber das ist die gleiche Art von Angst, die wir realen Menschen vor Mördern, Folterknechten und Vergewaltigern empfinden würden. Diese Angst, so schrecklich sie sein kann, zerstört nicht unser Bild von einer festgefügten Realität. Im Horror aber ist die reale Welt der Ausgangspunkt der Ereignisse. Und diese Realität, der die Protagonisten des Horrors – aber auch das Publikum! – gewiss sind, diese Realität wird angegriffen.
2. Das „Unmögliche“ wird real
Es findet ein Angriff auf unsere oder eine Welt wie die unsere statt, der irgendwie – und es braucht nicht einmal erklärt zu werden wie, es kann vielleicht gar nicht erklärt werden – von außen kommt und wie ein „Einbruch“ in unser Welt erfahren wird (vgl. Vax 1974, 17; Baumann 1989 20 u.ö.). Seit Roger Caillois´ Definition spricht man dabei meistens von einem „Riss“, der sich im Gefüge der Realität auftut und dem Bereich des Übernatürlichen einen wie auch immer gearteten, aber meist fatalen Zugriff auf die Realität gestattet. Das Gefühl, das dabei auf Seiten der Protagonisten, eventuell auch seitens des Publikums entsteht, beschreibt Louis Vax bildhaft: „Das Ungeheuer durchschreitet die Mauern und erreicht uns, wo immer wir sind“ (Vax 1974, 18). Und das ist es, was die spezifische Angst auslöst: vollkommene Unsicherheit aufgrund des Risses in der Realität. Wer sich in einem Thriller einem lebensbedrohlichen Angriff durch einen Mörder gegenüber sieht, ist in dem Augenblick sicher, wo er oder sie diesen Mörder in Notwehr getötet hat. Im Horrorgenre kommt der Mörder zurück.
3. Der Schrecken in den Horrorwerken wird drittens von Menschen erlebt, die uns gleichen.
Das heißt, dass sie den gleichen Beschränkungen unterliegen wie wir. Das heißt, dass sie nicht über ein Schwert verfügen, dass den König der Toten und seine Armee unter ihren Willen zu zwingen vermag und dass sie sich auch nicht dadurch wehren können, dass sie den Todesfluch „Avada Kedavra“ einfach schneller aussprechen als der Gegner. Normale Menschen sind dem Zugriff des Unmöglichen relativ schutzlos ausgesetzt und oftmals haben sie eben auch nicht die geringste Chance, das Grauen zu überleben. Das Publikum, dass sich auf die Horrorwerke einlässt, indem es mit den real wirkenden Protagonisten empfindet, nimmt an dem Schrecken auf eine ganz andere Weise Anteil, als wenn es einen Fantasyroman wie Harry Potter rezipiert, denn Harry kann schließlich wenigstens selber zaubern.
4. Harry stünde dem Einbruch des Übernatürlichen nicht mit dem gleichen Grauen gegenüber wie die normalen Menschen, die Freddy Krüger, dem Monster aus Nightmare on Elm Street zum Opfer fallen.
„Grauen“ ist der vierte wichtige Punkt in Baumanns Definition, denn damit wird das Empfinden der Protagonisten eines Horrorwerkes beschrieben. Grauen ist das, was die Menschen empfinden, die innerhalb der Horrorgeschichte die schrecklichen Erlebnisse mit dem Übernatürlichen haben – die Opfer von Vampiren, Werwölfen, Freddy Krüger oder der Mörderpuppe Chucky aus Child´s Play also. Grauen ist damit die „Reaktion auf das wirkliche Entsetzliche“ (Baumann 1989, 31, Hvhbg. i. Orig.) – das innerhalb einer Geschichte Wirkliche. Horror ist demgegenüber, was das Publikum beim Lesen oder Zuschauen empfindet, es ist die empathische Begleitung der Protagonisten aus der Sicherheit des Kinosessels heraus. Erst diese Sicherheit ermöglicht den Genuss von Horrorwerken in Form einer Lust an der Angst, genauer in Form einer Lust am Grauen – an dem Grauen, dass die Protagonisten stellvertretend für das Publikum über sich ergehen lassen müssen.
Und wenn´s nicht wirken tut?
Das bedeutet übrigens nicht, dass der Horror, als Empfindung des Publikums, Bestandteil von Baumanns Definition ist. Teil der Definition ist, dass die Protagonisten Grauen empfinden. Dass üblicherweise von den Horrorerzählern und -regisseuren die Erzeugung des »Gefühles Horror« beim Publikum, dass also das Hervorrufen von Angst und Schrecken, beabsichtigt ist, darf zwar als typisches Genremerkmal angesehen werden, steht aber auf einem anderen Blatt. Denn der Erzähler oder Regisseur mag mit diesem Teil seines Vorhabens durchaus scheitern.
Wäre das Gelingen der Erzeugung von Horror beim Publikum Definitionskriterium, so könnte man zu Recht einwenden, dass es unzulässig ist, eine Definition von einem so weichen und unsicheren Kriterium wie den Gefühlen des Publikums abhängig zu machen. Diesen Fehler begeht der Literaturtheoretiker Tzvetan Todorov, wenn er seine Definition des Phantastischen (Todorov 1975, 33) von einer gewissen Unschlüssigkeit des Lesers über den ontologischen Status des Erzählten abhängig macht (vgl. 31ff., 41). Das gleiche gilt für den zitierten Lovecraft, der das Gelingen des Erzeugens von Angst zum einzig gültigen „Prüfstein“ für die Qualität von Horrorliteratur macht (Lovecraft 1995, 13).
Was ist, so der nun naheliegende Einwand in Fragen des Horrors, was ist, wenn ‚mitfühlende‘ Angst und Schrecken beim Publikum gar nicht eintreten? Ist das Werk dann kein Horror mehr? Schließlich mag mancher Zuschauer von Filmen wie Das Omen, Zombie, Der Exorzist oder alten Vampirfilmen, die für heutige Augen oft eine unfreiwillige Komik aufweisen, sich allenfalls amüsiert, aber in keiner Weise beunruhigt fühlen. Das aber, so meine ich, ist für die Genreeinteilung egal.
Denn zunächst zählt die Intention beim Erschaffen des Werkes, etwas abzuliefern, dass in die Definitionskriterien fällt.4 Ob das gelingt steht dann, wie gesagt, auf einem ganz anderen Blatt. In der realistischen Literatur finden sich schließlich auch haufenweise Diskussionen, in denen Werken vorgeworfen wird, dass sie Ansprüche und Erwartungen nicht zu erfüllen imstande sind.
Das gilt auch in der Phantastik. Ed Woods Bride of the Monster, ein unglaublich hanebüchener Film von 1955 ist sicher nicht in der Lage, irgendeinen Zuschauer zu beunruhigen, aber kann man den Film deshalb als Komödie bezeichnen? Die Komik ist unfreiwillig und entsteht allein beim Betrachter und nimmt mit dessen filmischer Sozialisation immer weiter zu. Ich denke aber nicht, dass man ihn sinnvoll als Komödie klassifizieren kann. Es ist ein Horrorfilm, wenn auch einer der schlechtesten. Die Intention der Horrorschaffenden ist es, die zählt.
Bei den guten Werken des Horrors klappt es aber mit der Erzeugung von Angst und Schrecken ganz gut. Man liest oder schaut zu und wird immer mehr vom sich entwickelnden Grauen der Protagonisten gepackt, das diese sozusagen stellvertretend für uns, das Publikum, erleiden.
Und warum tun wir uns das an?
Stellvertretend? Ja, das ist die naheliegendste Vermutung, denn natürlich stellt sich nun die Frage, warum man sich so etwas wie den Horror antun sollte? Warum man Lust darauf verspüren sollte, Angst und Schrecken, aber auch Ekel und Hass nacherleben zu wollen? Schließlich ist eines seit Anbeginn des Denkens gewiss: Der Mensch erstrebt das Angenehme und sucht, das Unangenehme zu vermeiden. Irgendwo im Reich des Schreckens und der quellenden Eingeweide muss also wohl etwas Angenehmes zu finden sein. Besteht das Publikum des Horrorgenres ausschließlich aus Psychopathen? Das ist wohl auch ohne die Durchführung einer empirischen Studie auszuschließen.
Warum also Horror? Während ich dies schreibe, kommt mein vierjähriger Sohn ins Büro und fragt mich, was ich gerade mache. Ich erkläre ihm, dass ich etwas über Gruselgeschichten schreibe und dass das Geschichten sind, die den Leuten Angst machen sollen. „Warum soll man denn Angst haben?“, fragt Simon voller Berechtigung. Ich versuche, ihm begreiflich zu machen, dass er das ja auch gerne hat, ein bisschen Angst zu haben. Natürlich nur insofern, dass klar ist, dass eine Situation nicht wirklich bedrohlich ist. Ich erinnere ihn daran, dass ich beispielsweise oft ein Monster spielen muss und versuchen muss, ihn zu fangen. Spaß macht es ihm besonders, wenn ich dabei mit einer LARP-Waffe fuchtele und laut schreiend hinter ihm her renne. Manchmal gibt er mir sogar einen Text vor, den ich dabei zu sprechen habe, wie „Ich fresse Dich gleich auf“ oder Ähnliches. Die Freude an der gleichen Art Spiel beobachte ich übrigens auch bei allen Kindern seiner Kindergartengruppe, habe sie selbst mit meinen Freunden in der Kindheit genossen und schon Astrid Lindgren beschreibt das Gleiche in Pippi macht einen Schulausflug mit. Da lässt sie Pippi Langstrumpf auf einem Schulausflug mit Kindern spielen, dass Pippi als Ungeheuer Kinder zum Fressen in eine Höhle schleppt. Das scheint also, auch ohne jetzt in empirischen Untersuchungen nachschlagen zu wollen, eine äußerst weitverbreitete Freude zu sein, die Freude am ungefährlichen sich Gruseln.
Das ist also, meine ich, auf einem anderen qualitativen Level genau die Angstlust, die auch das Publikum von Horrorerzeugnissen sucht. Angstlust, gepaart mit der sicheren Gewissheit, dass in Wirklichkeit nichts passieren wird. Es ist ein zunächst harmloser Nervenkitzel, denn anders als in Woody Allens Purple Rose of Cairo können wir im wahren Leben sicher sein, dass Freddy Krüger auf seiner Seite der Leinwand bleiben wird. Aber die Beobachtung von Angstlust beantwortet die Frage, warum man sich dem Horror aussetzt, genaugenommen immer noch nicht. Denn damit ist noch nicht gesagt, warum man sich für das Lustempfinden ausgerechnet die Angst aussucht. Gibt es nicht schönere Lüste?
Und es ist nicht nur die Angst, sondern auch noch die Darstellung von manchmal exzessiver Gewalt und von absolut ekelhaften Dingen, die vielen Menschen das Vergnügen als ein zweifelhaftes erscheinen lässt. Beispiel Braindead. Jahre bevor Peter Jackson mit der Verfilmung von Der Herr der Ringe bekannt wurde, hat er Braindead gedreht, sozusagen das Paradebeispiel des ekligen Splatterfilms5, das alles visualisiert, das gemeinhin geeignet ist, jemandem zum Erbrechen zu bringen. Nun ist das Publikum von Poltergeist oder Es und das von Braindead wahrscheinlich nicht deckungsgleich, aber auch der Splatter hat sein nicht allzu kleines Publikum.
Was ist nur so anziehend an den verschiedenen Erscheinungsformen des Horrors?
Wahrscheinlich ist hier eine differenzierte Antwort nötig, aber auch bei aller Differenzierung kann man Grundhaltungen identifizieren, die ein Verständnis der Attraktivität des Horrorgenres ermöglichen. Was die verschiedenartigen Erscheinungsformen wie Splatter oder den vergleichsweise vollkommen gesitteten Gothic Horror6 angeht, so werden hier sicherlich spezifische Interessen bedient, die eben ganz eigene Ausprägungen dessen darstellen, was man als unterhaltend, als spannend, als beunruhigend, als schreckenerregend empfindet. Ich persönlich beispielsweise bin wahrscheinlich sehr viel leichter zu erschrecken, als die meisten von Ihnen es sind. So interessant es auch wäre, hier den Erscheinungsformen und dem was sie jeweils bedienen, nachzuspüren, so ist dazu hier nicht der Platz und die Zeit und ich möchte es bei dem Hinweis auf die Unterschiedlichkeit von Bedürfnissen belassen.
Was jedoch den Erscheinungsformen selbst so unterschiedlicher Subgenres wie Splatter und klassischem Gothic Horror gemeinsam ist, sind folgende Merkmale: Sie sind – wie auch immer – unterhaltend, sie erzeugen Spannung beim Publikum, sie lassen das Grauen der Protagonisten beim Publikum als Angstlust auslösenden Horror entstehen und die guten Werke7 sorgen für diese unbestimmte Beunruhigung über die Sicherheit des eigenen wie des allgemeinen Weltbildes. Doch immer gilt: „Beim Horror geht es darum, das Grauen in fiktionaler Weise aufzubereiten, um es partiell genießbar zu machen“ (Baumann 1989, 217). Noël Carroll, nennt es denn auch treffend „art-horror“ (Carroll 1990, 27), womit er sowohl auf den künstlerischen, wie auf den künstlichen (artifiziellen) Aspekt hinweist –
Horror ist eben eine künstliche Angst!
Und warum Angst?
Aber selbst wenn es ungefährlich ist, warum sollte jemand überhaupt Angst empfinden wollen? Zwei Theorien, die einander ergänzen, und nicht etwa ausschließen, halte ich dabei insbesondere für plausibel. Die Suche nach Spannung und Nervenkitzel zum einen und die Abreaktion von Wut und Aggressionen auf der anderen Seite.
Die Suche nach Spannungsmomenten und Adrenalinschub auslösenden Gefahrenmomenten scheint ein ganz grundsätzliches Bedürfnis, zumindest in sogenannten zivilisierten Gesellschaften, zu sein, wo die Gefahr, zumindest die unmittelbare Lebensgefahr, nicht mehr zum Alltag gehört. Das Bedürfnis wird natürlich nicht von allen empfunden, aber von vielen. Und die Vielen leben es ganz unterschiedlich aus: Bungeejumping, Fallschirmspringen, Extremklettern, Free oder All Fight lassen Menschen dabei ganz konkrete, mehr oder weniger große Gefahren erleben. Mancher sucht die Gefahr aber auch im bloßen geistigen Mit- und Nacherleben und liest, schaut und spielt Krimis, Abenteuerbücher, Onlinerollenspiele oder eben Horror.
Der Horror lässt dabei ganz spezifische Spannungsformen zu, die in einem besonderem Maße steigerungsfähig sind, das andere Genres so nicht bieten können. Wie schon erwähnt: Hat der Protagonist im Thriller den Mörder getötet, so war es das. Im Horror aber … Zudem markiert die Brüchigkeit der Realität eine besonders exquisite Quelle der Angstlust: Nur so lässt sich die von Lovecraft so genannte „kosmische Angst“ empfinden (Lovecraft 1995, 11 u.ö.), die daraus resultiert, dass plötzlich alles möglich wird, dass keinerlei Sicherheit mehr gewährleistet werden kann und dass die Geschichten im Prinzip nie zu Ende sind, denn egal wie oft Freddy Krüger in die Hölle gestoßen wird – die Hölle hat ein Interesse daran, ihn wieder zurückzuschicken.
Und mancher Schrecken geschieht ja auch zu Recht. Naja, nicht ganz zu Unrecht. Oder wenigstens, ein bisschen nachvollziehbar. Und dann erreichen wir das Motiv der Abreaktion. Manchmal wird dies auch Reinigung oder Katharsis genannt, aber diesen in der Medientheorie arg diskreditierten Begriff möchte ich aus verschiedenen Gründen8 nicht benutzen. Mit Abreaktion haben wir es dann zu tun, wenn die Rezipienten dem Geschehen wohlwollend mitfühlend folgen.
Empathisches Mitfühlen findet beim Medienkonsum sowieso statt, beim Horror aber ganz besonders. Zuerst denkt man dabei natürlich an das Mitempfinden der Angst – und ist damit wieder bei der zuerst genannten Motivation, Spannung bis hin zur Fast-Panik erleben zu wollen. Aber man kann ja auch ‚wohlwollend’ oder zustimmend mitfühlen. Etwa wenn den massenmörderischen Werwolf endlich die Silberkugeln zerfetzen, wenn der hölzerne Pflock das von unschuldigem Blut genährte Herz des Vampirs schmatzend durchstößt, wenn sich die explodierende Hirnmasse des letzten Zombies quer durch das Wohnzimmer verteilt. Rachegefühle werden dabei ebenso bedient, wie ob der grausigen Strafe das Gerechtigkeitsempfinden angesprochen wird. Und je grausamer die Taten waren, die im Fortgang der Geschichte gerächt werden, desto heftiger darf die Form der Rache ausfallen, ohne dass man sich vor der eigenen Gewalttätigkeit erschrecken muss.
Die Abreaktion kann zudem auch andere Wege gehen. Oftmals sind die Bösen unschuldig an ihrer besonderen Seinsform und sie üben vielleicht nur eine Art ausgleichender Gerechtigkeit. Am Anfang des Filmes 28 Days Later werden Versuchstiere grausamst gequält. Als sie dann von Tierschützern befreit werden, stellt sich heraus, dass all die Qual in ihnen einen Virus hat entstehen oder mutieren lassen, der sich auf Menschen überträgt und diese in reißende Zombies verwandelt. Als 28 Tage später die britische Insel so gut wie entvölkert ist, kommt einem auch der Gedanke: „Ätsch, selbst Schuld!“9
Das Erleben von Horror ist genauso subjektiv wie die Motivation dazu. Aber ich denke, dass mit den beiden genannten Punkten der 1. Spannungssuche auf die besondere Art der Suche nach Lustangst – ähnlich aller Monsterjagd spielenden Kinder dieser Welt – sowie 2. dem Motiv der Abreaktion die beiden wichtigsten Motivationspunkte erfasst sind. Dabei ist festzuhalten, dass ein gewisses Maß an Rache- und Gerechtigkeitsempfinden wohl allen Menschen gemein ist und zudem durch die spielerische Umsetzung in fiktionalem Erleben niemandem weh tut. Und es ist festzuhalten, dass Spannungssuche, der Wunsch dem Empfinden eines Thrills „[i|n bestimmten Situationen, wenn die letzte Kontrolle noch nicht in Gefahr und die Gefühlsintensität nicht allzu hoch ist“ (Butollo 1987, 124f.), ein sehr weit verbreitetes Gefühl darstellt.
Nein, es ist wohl nicht per se davon auszugehen, dass der Konsument von Werken des Horrorgenres ein Psychopath ist.
Horror und seine Nachbarn
Noch ein paar Anmerkungen zur Definition von Horror. Und damit auch zur Definition von Fantasy sowie der phantastischen Literatur im Allgemeinen. In meiner Einführung in die Fantasy habe ich folgende Definition entwickelt: Fantasy ist ein Genre, dessen zentraler Inhalt die Annahme des faktischen Vorhandenseins und Wirkens metaphysischer Kräfte oder Wesen ist, das als Fiktion auftritt, die als Fiktion auch verstanden werden soll und muss. Fantasy ist also charakterisiert als erfundene Geschichten, die Übernatürliches zum Thema haben. Demnach wäre Horror also Fantasy. Mehr noch: Wird jegliche Fiktion übernatürlichen Inhaltes einbezogen, so fallen auch manche Fabel, die Märchen und andere Subgenres unter das Label Fantasy. Hänsel und Gretel oder Stokers Dracula wird man aber zu Recht nicht als Fantasy begreifen wollen.
Und das will ich auch mit meiner Definition gar nicht erreichen. Aber abrücken will ich auch nicht von ihr, denn in der vorliegenden Form beschreibt sie Fantasy ziemlich gut. Und es ist auch nicht nötig, die Definition aufzugeben: Benachbarte Genres können eine trennscharfe Abgrenzung durch das Anlegen eigener Kriterien erreichen. Man muss nicht alles aus der Fantasy heraus entwickeln, sondern kann Abgrenzungskriterien innerhalb der anderen Genres formulieren, die beispielsweise den Horror ausreichend von der Fantasy trennen.
Die Abgrenzung für den Horror sieht eben so aus wie bei der Definition Baumanns, der ich mich oben weitgehend angeschlossen habe. Die besagt ja, wie geschildert, dass der Horror von unmöglichen Dingen handelt, die in die reale Welt oder in eine nach Vorbild der realen Welt entwickelte Sekundärwelt eindringen und dort Grauen bei den Protagonisten und Horror beim Publikum auslösen. Damit ist für die meisten Werke des Horrors eine ausreichend deutliche Abgrenzung zur Fantasy gegeben, die aus dem Horrorgenre heraus entwickelt wurde und so diese ‚Teilmenge Horror’ von der Menge der Fantasywerke abknapst und auch innerhalb des Fundus der Phantastik allgemein Grenzen steckt. Natürlich ist eine solche Definition eine normative Setzung, aber das sind geisteswissenschaftliche Definitionen immer. Bewähren müssen die sich alle durch inhaltlich begründete Überzeugungskraft.
Natürlich gibt es neben eindeutigen Fällen, wie etwa Nosferatu, Dracula oder Filme wie Nightmare on Elm Street 1-X und Halloween 1-X, eine reichliche Anzahl von Grenzfällen in der gesamten phantastischen Literatur und Filmgeschichte. Beispiel Star Wars. Star Wars sieht auf den ersten Blick aus wie Science Fiction, ist aber Fantasy, denn die Welt sprudelt nur so über von Übernatürlichem – während aber das startreksche Beamen theoretisch möglich ist, ist die reale Manifestation der Macht prinzipiell unmöglich. Die zur Fantasy gehörende Dark Fantasy beschreibt abgeschlossene Fantasywelten. Und zwar durchaus mit dem Ziel, beim Publikum Horror auszulösen. Das zwar nicht mit den gleichen Mitteln wie genuiner Horror, denn der Einbruch in die Realität findet nicht statt, aber – falls gut erzählt – kann die Dark Fantasy auch so manchen Schauder hervorrufen. Die Fernsehserie Buffy – the Vampire Slayer, kommt als Vampirgeschichte daher, in der es vordergründig permanent um den Einbruch des Dämonischen in die Realität geht. Buffy ist aber wirklich nicht geeignet, irgendjemanden zu beunruhigen und stellt sich mit dem gesamten Setting des Buffyversums als Fantasyserie dar, ist doch die in Form des Städtchens Sunnydale umgesetzte Realität als Realweltbeschreibung vollkommen unglaubwürdig. Für Buffy gilt das gleiche wie für manchen als Science Fiction daherkommenden Horror. Jüngst etwa Resident Evil, 28 Days Later und 28 Weeks Later; Filme, deren „pseudowissenschaftliche Kartenhäuser sofort zusammenfallen würden, wenn sie irgend jemand unter ernst genommenen Kriterien der Science Fiction betrachten würde“ (Baumann 1989, 216). Aber selbst die Serie Star Trek, auf den ersten Blick echtes Science Fiction-Urgestein, trägt Fantasyelemente mit sich, wenn sie Figuren wie den allmächtigen Q oder die Wurmlochpropheten einführt – diese Figuren mit irgendwelchen anderen Dimensionen zu erklären, verlässt den Boden der naturwissenschaftlich nachvollziehbaren Spekulation bei Weitem. Und es gibt eine lange Reihe weiterer Beispiele.
Es ist eben eine Illusion, absolute Trennschärfe in den Genredefinitionen erwarten oder einfordern zu wollen. Und an die Literaturwissenschaft gerichtet darf man mit Hans Baumann sagen: „[H]inreichende Trennschärfe ist anzustreben, aber wo sie für jeden Einzelfall gelten will, wird sie tot und starr – und durch jeden neuen Fall, der sich ihr nicht fügen will, ins Unrecht gesetzt“ (Baumann 1989, 97). Zudem gilt, dass Autoren und Regisseure um Originalität bemüht sind und auch deshalb Genregrenzen ständig zu überschreiten suchen. Es gab und wird also immer Versuche geben neue Dinge auf innovative Art und Weise zu erzählen. Stanislaw Lem sagt dazu „Meisterwerke ‚wollen sich’ [einem] gegebenen Gattungsparadigma nicht unterordnen, denn ihre Eigenart ist eben die Resultierende aller Abweichungen vom bisherigen Gattungsparadigma“ (Lem 1974, 97).
Und sie sind ja einander auch eng verwandt, der Kern der Familienmitglieder der phantastischen Literatur: Science Fiction, Fantasy und der Horror. Literarische Schmuddelkinder sind sie auch allemal. Science Fiction, die Wolkenkuckucksheime erbaut, die nie in Erfüllung gehen werden. Obwohl die SF durch ihre teilweise visionären Inhalte teilrehabilitiert ist. Fantasy malt nutzlose, reaktionäre Träumereien und geistlose Schlachtenbilder. Aber sie hat wenigstens Publikumserfolge. Horror aber – nein, lassen Sie uns bitte gar nicht erst davon sprechen, Herr Oberstudienrat …
Man kann Rechtfertigungen, ja literarische Rehabilitationen des Horrors schreiben. Und es gibt sie! Aber ich wollte Ihnen heute nur aufzeigen, was das Horrorgenre ist und eine Idee davon geben, warum man sich ihm zuwendet. Horror ist nur auf einen sehr nachlässigen Blick hin low level literature. Schließlich ist vieles in unserer Welt Realhorror – das Genre greift ihn nur auf. In vielen Werken, auch und gerade der literarisch anerkannten Fiktion (Kafka, Dostojewski) , stecken horrorartige Abgründe – es muss also am Thema etwas Wichtiges dran sein. Horror berührt Menschen tief, wenn auch immer mit einem unangenehmen Timbre – er muss wohl auch vom Wesen des Menschen handeln.
Kurz: Horror rührt an unsere Nerven. So abseitig kann er also gar nicht sein …
1 Es ist von Bedeutung, diese Ansicht Lovecrafts an dieser Stelle zu nennen, um betont auf das Wesen des Horrorgenres – Angst und Schrecken erzeugen zu wollen – hinzuweisen. Das heißt nicht, dass ich diese Ansicht Lovecrafts teile. Im Gegenteil bin ich davon überzeugt, dass sie sogar falsch ist – Angst ist nicht das stärkste Gefühl, das der Mensch empfindet. Nehmen Sie nur die Liebe und den Hass: Beide Gefühle befähigen die meisten Menschen auch die größten Ängste zu überwinden und jemanden aus Liebe zu verteidigen oder aus Hass anzugreifen, ungeachtet jeglicher einem selbst drohender Gefahr.
2 Man fasst Fantasy, Horror und Science Fiction am besten unter dem Begriff phantastische Literatur, als einer Obergattung, die „von Dingen oder Ereignissen [handelt], die es nicht gibt, die es aber auf verschiedene Art und Weise nicht gibt“ (Rottensteiner 1987a, 8).
3 Roger Caillois und Louis Vax sprechen beide in ihren einflussreichen Definitionen vom „Phantastischen“ („le fantastique“), ebenso Rottensteiner (1978a, Vax 1974, Caillois 1974)), entwerfen dann aber eine vglw. enge, auf die Erregung von Angst und Unruhe abzielende Definition des Phantastischen, dass darunter das Horrorgenre verstanden kann, ohne dass die Gefahr besteht, dass selbständige andere Genres der phantastischen Literatur – also einer Kunst und Literatur, die Unmögliches als zentralen Inhalt aufweist – wie die Science Fiction oder das Märchen darunter fallen könnten.
4 Was nicht zwangsläufig bedeutet, dass der Autor oder Regisseur seine Werkintention an ein bestimmtes Genre binden muss. Wollte Kafka in Die Verwandlung (auch) ein Werk des Horrors schaffen? Ich weiß es nicht. Aber es fällt unter die Kriterien. (Und erzeugt Horror.) In den allermeisten Fällen dürfte es aber kaum dazu kommen, dass jemand eine Geschichte erzählt, die vom Einbruch eines übernatürlichen Schreckens erzählt, ohne dass die Erzeugung von Horror intendiert wäre. Allenfalls Joanne Rowling schafft es schließlich, 7 Fantasybücher zu schreiben und dann zu sagen, dass sie gar keine Fantasy dabei im Sinn gehabt habe. Doch, wie Terry Pratchett scharfsinnig anmerkt, die Erfindung von Drachen, Einhörnern, Trollen und Kobolden hätte ihr eigentlich ein paar Hinweise geben können (vgl. die entsprechende Meldung der BBC News unter: http://news.bbc.co.uk/2/hi/entertainment/4732385.stm).
5 Splatter (engl. Wortneuschöpfung aus splash und spatter = spritzen), das jene Horrorwerke bezeichnet, bei denen die Gewaltdarstellung im Vordergrund steht.
6 Gothic Horror bezeichnet den klassischen (englischen) Schauerroman, die Gothic Novel, die sich meist mit der zurückhaltenden Andeutung schrecklicher Geschehnisse begnügt.
7 In Bezug auf alle Wirkungsfragen des Horrorgenres ist die erzählerische Qualität von entscheidender Wichtigkeit. Die moderne Zuschauerin und Leserin „glaubt nicht an das Erzählte“, um trotzdem die intendierten bzw. gesuchten Empfindungen hervorzurufen muss sie „überzeugt und nicht nur verzaubert werden“ (Penzold 1975, 13 u. 16).
8 Hauptsächlich aus zwei Gründen. Zum einen wird es bei fortschreitender Forschung getreu deren empirischer Ergebnisse immer unwahrscheinlicher, dass sich so etwas wie eine Reinigungsfunktion dergestalt beobachten lässt, dass Medienkonsum als gleichwertiger Ersatz für eigenes Agressionsausleben dienen könnte. (Was die oben weiter ausgeführte Abreaktion angeht, so ‚reinigt’ die m. E. nicht, sondern ist nicht viel mehr als eine spielerische Ausdrucksform von Aggressionen, die diese nicht wirklich abzubauen in der Lage ist.) Zum zweiten halte ich von der Reinigungsthese insgesamt nicht viel, weil ich Aggressionen ab einer bestimmten Qualität für nicht mehr sublimierbar halte, was die Katharsisidee ad absurdum führen würde: Wer der Katharsis nicht bedarf, braucht keine Medien; wer ihrer Bedarf, dem helfen sie nicht.
9 Das ist als Zivilisationskritik auch völlig beabsichtigt wie sich im Fortgang der Handlung erweist, wenn die letzten Londoner Überlebenden auf dem Land auf eine Militäreinheit treffen, von der man meinen sollte, dass sie ihnen hilft. Die Soldaten erweisen sich aber, weil noch vernunft- und damit moralbegabt, als schlimmer als die Zombies, wenn sie die Frauen für Unterhaltungs- und Reproduktionszwecke behalten und den Mann erschießen wollen.
Bochum, Juli 2008