Computerspiele

Zwischen Faszination und Gewalt

Roxheim am 10. Juni 2005 © Frank Weinreich, Bochum


 

Computerspielen kann man heute nicht entkommen. Sie gehören zur Medienlandschaft, insbesondere der Jugendlichen, unabdingbar dazu. Computer und auch die auf ihnen installierten Spiele sind Teil der Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen in Deutschland, ob Eltern und Lehrerinnen und Lehrer dies begrüßen oder nicht. Ich möchte mit Ihnen heute abend der Frage nachgehen, was das in Bezug auf die Computerspiele für Ihre Kinder bedeutet.

Dazu möchte ich im Einzelnen heute abend mit Ihnen gerne über folgende Dinge sprechen

– Kinder und Jugendliche und ihr Verhältnis zu Medien heute

– das Medium Computer und das Computerspiel

– Computerspiele und Gewalt

– Beispiele

– Praktische Tipps und Anregungen – gerade auch von Ihnen!


 

1. Medien

„Alles, was wir heute lernen, lernen wir durch Medien“ ist ein zwar übertriebener aber doch treffender Gemeinplatz unter Pädagogen und Medienwissenschaftlern. Natürlich ist die menschliche Erfahrungswelt glücklicherweise nicht auf Medien beschränkt. Aber das Wissen über die Welt, das wir haben, stammt in der Tat zu großen Teilen aus Medien: neben wenigen Exkursionen und praktischen Arbeiten wird der allermeiste Stoff in der Schule über Bücher, Fernsehen und Video sowie den Computer und das Internet vermittelt. Das ändert sich in Ausbildung und Studium nicht wesentlich. Das Orientierungswissen im Alltag über Politik, Wirtschaft und den täglichen Einkauf stammt ebenfalls zum größeren Teil aus Medien. Und in der Freizeit wird der allergrößte Teil der Unterhaltung von Medien bestritten. All das ist für die Erwachsenen nicht anders als für Kinder und Jugendliche.

Der medienpädagogische Forschungsverbund Südwest ermittelt abwechselnd alle zwei Jahre die Mediennutzungsgewohnheiten von Kindern im Alter von 6 – 13 Jahren und von Jugendlichen zwischen 12 – und 19 Jahren. Die sehr interessanten Berichte umfassen jeweils etwa 60 – 70 Seiten, von denen ich hier aber nur einige wenige, im Rahmen unseres Thema interessante, Zahlen vorstellen möchte:

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Die Computernutzung ist bei Kindern und Jugendlichen also sehr ausgeprägt. Doch wie wird der Computer genutzt? Und behalten sie bei dieser Frage im Hinterkopf, dass Videospielkonsolen wie die Playstation ebenfalls zu den Computerspielen zählen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Computer wie die Videospielkonsole im Kinderzimmer der Normalfall geworden ist. Das ist ein an sich erst einmal nicht so kritisches Faktum, da Rechner und ihre möglichst kenntnisreiche Nutzung in Schule, Ausbildung und Beruf mittlerweile unabdingbare Voraussetzungen geworden sind. Und auch für Videospielgeräte gibt es sinnvolle Lernspiele. Nur beschränkt sich die Nutzung moderner Rechner und Konsolen bei weitem nicht auf pädagogisch wertvolle Programme und solche Anwendungen, die die Lern- und Arbeitsleistungen ihrer Nutzer beflügeln. Der medienpädagogische Forschungsverbund Südwest stellt fest: „Spielen ist die bei Kindern am häufigsten ausgeübte Tätigkeit am Computer“ (KIM 2003, 32). Und das gilt auch für Jugendliche.

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Man sieht, der Computer kann anscheinend auch exzellent unterhalten – was aber in Bezug auf die Art der Unterhaltung nicht immer unproblematisch ist.

2. Computer

Worin besteht die besondere Qualität des Computers oder des Videospielgerätes und etwaiger auf ihm installierter Spiele?

Zunächst sind Computer und Konsolen in der Lage, alle Funktionen konventioneller Medien zu übernehmen: der Computer kann Text darstellen, er kann Sprache, Musik und alle denkbaren Geräusche lebensecht wiedergeben und er kann Visualisierungen aller Art darstellen. Er kann also bewegte wie unbewegte Bilder, reale Fotos ebenso wie manipulierte Fotos und vollkommen frei erfundene Bilder zeigen. Dazu kommen mittlerweile sogar sensorische Eindrücke in Form zappelnder Computermäuse und ausschlagender Joysticks, so dass der Computer bis auf den Geruchssinn alle menschlichen Sinne direkt anzusprechen vermag (und wer kann schon sagen, wann er auch noch Düfte oder Gestank ausströmen wird). Dies alles können die Geräte zudem zu verschiedensten Gesamtdarstellungen verknüpfen und diese audiovisuelle Gesamtdarstellung dann auch noch mit Interaktivität versehen, also die Möglichkeit zur Verfügung stellen, in das mediale Geschehen selbst einzugreifen und zur handelnden Person darin zu werden.

Und genau ist das Wesentliche an modernen Computerspielen: die Verbindung von realistischem Ton und immer realistischeren Filmsequenzen mit der Möglichkeit, das auf dem Bildschirm und über die Lautsprecher dargestellte Geschehen zu steuern. Wobei das Wort Realismus in diesem Zusammenhang vielleicht besser durch den Begriff der Detailgenauigkeit ersetzt werden sollte, denn das eigentliche Geschehen in den Computerspielen ist oftmals alles andere als real. Gerade in den Spielen, die in Hinsicht auf die in ihnen enthaltene Gewalt besonders problematisch sind, wird der Spieler in eher unrealistische Situationen in Märchen- und Fantasywelten oder in den Weltraum versetzt und verfügt über übermenschliche Fähigkeiten sowie magische oder futuristische Waffen, deren gehäufter Einsatz den eigentlichen Spielzweck darstellt. Ein zusätzliches Element, das die Motivation, diese Spiele zu spielen, steigert, ist dann die beständig steigende audiovisuelle Detailliertheit, mit der die Spieler das Geschehen erleben. Diese Detailliertheit wirkt auf die Sinne in einer Art und Weise ein, wie es das Buch oder das Hörbuch niemals vermögen werden. Und anders als in Kino oder Fernsehen, deren Darstellungsintensität moderne Computer so langsam erreichen, muss man das Geschehen nicht als unbeteiligter Zuschauer über sich ergehen lassen, sondern kann als Spieler selber eingreifen und die Kontrolle über das Medienerlebnis übernehmen.

An dieser Stelle ein Wort zum Begriff „Spieler“: erstens sollte dabei die weibliche Form „Spielerin“ immer mitgedacht werden. Zweitens erlaube ich mir aber auch bewusst provokativ von „Spieler“ in der männlichen Form zu sprechen, da Jungen, wie wir eben schon bei der Folie zur Computernutzung Jugendlicher gesehen haben, sehr viel häufiger und länger als Mädchen spielen (JIM 2004, 26, s.a. KIM 2003, 35) und dann auch sehr viel eher zu Spielen mit Gewaltformen als wesentlichem Handlungselement greifen, als Mädchen dies tun (vgl. JIM 2004, 30).

Warum aber wird überhaupt an Computer oder Videospielkonsole gespielt? Kontrolle, Einfluss und Macht, das sind für Jürgen Fritz, Pädagoge und Medienforscher sowie einer der besten Kenner der wissenschaftlichen Betrachtung von Computerspielen, dann die entscheidenden Begrifflichkeiten bei der Frage nach der Motivation zu Computerspielen:

„Das zentrale motivationale Element des Computerspiels ist der Wunsch der Spieler, Erfolg zu haben. Der Spielerfolg ist unmittelbar gekoppelt mit der Kontrolle des Spiels. Die allen Spielen gemeinsame Leistungsforderung besteht darin, das Spiel kontrollieren zu können. Bildschirmspiele vermitteln das Gefühl von Macht und Kontrolle in einer miniaturisierten und auf wenige Grundelemente reduzierten Welt.“

Es geht also erstens um Kontrolle und zweitens auch darum, dass die Spielwelt einfacher, überschaubarer und verstehbarer als das komplexe reale Leben ist. Und die Erschaffung einer solchen Welt gelingt den Geräten auf Grund der wachsenden technischen Möglichkeiten in immer perfekterer Weise. Diese technische Perfektion wiederum erleichtert es, sich der Illusion hingeben zu können, mittels des Computers in andere Welten einzutauchen.

„Warum sind Macht, Kontrolle und Herrschaft wesentliche Motive, die von Bildschirmspielen angesprochen werden? Kinder, Jugendliche und Erwachsene benötigen ein derartiges Angebot für ihre Lebenssituation. Eine der wichtigsten Thematiken überhaupt für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene ist die Auseinandersetzung mit Macht und Kontrolle und der Wunsch, anstelle des permanent erlebten Kontrollverlustes das eigene Leben selbst zu bestimmen. Von daher suchen sehr viele Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene ihre Bewährung in der ‚Welt am Draht‘.“

Warum ist es für Kinder und Jugendliche so erstrebenswert, Macht und Kontrolle auszuüben?

Sie erfahren sich eben in hohem Maße durch Schule, Elternhaus und andere Umstände als fremdbestimmt. Diese Fremdbestimmtheit weicht im Computerspiel der Autonomie und Handlungsfreiheit. Dazu kommt, dass das elektronische alter Ego in der Regel erwachsen ist, sich nicht um Noten und Lehrstellen zu kümmern braucht, meist gut aussieht, übermenschliche Fähigkeiten sein eigen nennt und in allen Aspekten einfach cool ist. All dies erhöht den Reiz des Sprungs in die Computerwelt.

Natürlich handelt es sich bei Computerspielen nur um die Illusion von Freiheit und dieses Faktum kann in der Diskussion über Computerspiele helfen, die Perspektive auf die Spiele in ein entmystifiziertes und deutlich unattraktiveres Licht zu rücken. Das Computerspiel vermag letztendlich nämlich nur eine sehr eingeschränkte Welt hervorzubringen. Zudem folgt die Handlung einem Drehbuch, das mit echter Handlungsfreiheit nichts zu tun hat. Ein Beispiel ist das beliebte Spiel Hitman, bei dem man in die Rolle eines Auftragsmörders schlüpft. Wer die auftauchenden Charaktere nicht oder nicht in der richtigen Reihenfolge umbringt, der bleibt nach kurzer Zeit im Spielgeschehen hängen. Selbst die immer öfter verkauften Onlinespiele, bei denen mehrere Rechner lokal oder über das Internet vernetzt werden und bei denen es keine vorgegebene Handlung gibt, der die Spieler folgen müssen, weisen das enge Korsett einer vorgefertigten Spielwelt auf, die auf jede mögliche Handlungsweise eines Spielers mit der festgelegten Schablone einer bestimmten und immer gleichen Reaktion reagiert.

Dieser Umstand kann dazu dienen, den Wert der Freizeitbeschäftigung Computerspiel auf ein vernünftiges Maß zurechtzustutzen. Selbst wenn man zugibt, das Computerspielwelten faszinierend sein können – und dies muss man ehrlicherweise zugeben, wenn man die Perspektive des Kindes oder des Jugendlichen einnimmt, den die audiovisuelle Pracht des Geschehens am Rechner in den Bann schlägt – selbst wenn man dies also zugibt, so lässt sich auch in einer für Kinder angemessenen Form hinterfragen, ob denn beispielsweise das Spielgeschehen so sehr weit trägt. So ist etwa das Konzept aller Rollenspiele so gestaltet, dass man einen oder mehrere Spielcharaktere steuert, die mit der Zeit immer besser werden, in dem, was sie tun. Meist ist dasjenige, was sie tun, zu kämpfen.

Beispiel Diablo: das Spiel ist der Gipfel spielerischer Stupidität und trotzdem eines, das seine Spieler Monate fesselt. Dieses vielleicht bestverkaufte Spiel aller Zeiten, dreht sich darum, Orte zu erreichen und Gegner zu besiegen, die von Monstern verteidigt werden, um im Spiel weiter zu kommen. Man beginnt ganz klein auf der ersten Stufe und mit einem Schwert oder einer Axt, die einen Schaden von 5 Punkten verursacht. Die ersten Gegner haben 25 Lebenspunkte, wenn man die also 5mal trifft, sind sie tot. Später kommen Gegner mit 50 oder 100 Lebenspunkten. Glücklicherweise hat man bis dahin Geld für ein neues Schwert, das 10 oder 25 Punkte Schaden verursacht. Und wieder muss man 5 mal treffen, damit die neuen, stärkeren und grusliger aussehenden Gegner umfallen. Gegen Ende des Spiels hat man Supergigahyper-Schwerter mit coolen Namen wie ‚Schwert des Feuergottes‘ oder ‚Teufels rasender Schnitter‘, die 1000 Punkte Schaden verursachen. Jetzt raten Sie mal, wieviel Lebenspunkte die Gegner gegen Spielende haben … richtig, Sie müssen wieder 5mal treffen, um die Supergigahyper-Monster zu besiegen. Diese Simplizität des Spielkonzeptes wird durch die technisch perfekte Umsetzung zu einem sehr hohen Grad überlagert. Aber wenn man sich das einmal verdeutlicht, dann gewinnen der Fußballverein und die Reitsporthalle auch für Kinder und Jugendliche plötzlich ein ehedem unbekanntes Maß an Komplexität und Ereignistiefe … und Computerspiele sind vielleicht nicht mehr sooo cool.

Leider beinhaltet das soeben über die Simplizität von Computerspielen Gesagte auch den Umstand, dass Kontrolle und Macht in diesen Spielen im Vergleich zum echten Leben geradezu lächerlich einfach zu erlangen sind. Um die Spieler nicht zu frustrieren, sind die Spiele so ausgelegt, dass mit einem gewissen Maß an Übung jeder bis zum Endgegner vordringen kann. Im echten Leben schafft es aber leider nicht jeder in die erste Mannschaft und auf das Siegertreppchen. Dies kann jedoch im echten Leben meines Erachtens durch Zuwendung, Anteilnahme und positive Verstärkung aufgefangen werden. Das ist jedoch ein Thema, dem wir uns erst später in der Diskussion zuwenden sollten.

3. Gewalt und Computerspiele

Welche Spiele gibt es nun und bei welchen wird das Thema Gewalt aus welchen Gründen problematisch?

Der Computer simuliert Realitäten verschiedenster Art. Das gilt gleichermaßen für die Spiele: hier können verschiedenste Funktionen simuliert werden. Der Computer erlaubt es, nahezu alle bekannten Brett-, Karten- und Gesellschaftsspiele zu spielen. Er ermöglicht die Simulation von politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Zusammenhängen in Spielen, in denen der Spieler einen Staat führen oder eine Stadt führen kann, in denen er das Leben eines ganz normalen Menschen lebt, in denen er als Firmenboss alle möglichen Betriebe von der Pizzeria bis zum multinationalen Konzern leiten kann. Er kann seinen Staat, seine Firma natürlich auch in Kriege führen und so zu Gewalt greifen. Die Darstellung von Gewalt ist hierbei jedoch noch relativ abstrakt.

Anders sind die äußerst beliebten Simulationen von konkreten Kampfeinsätzen, in denen der Spieler die Rolle eines Soldaten, eines Polizisten oder auch eines Auftragskillers übernehmen kann – den sogenannten Ego-Shootern. Hier wird die schematische Übersichtsdarstellung, die den meisten Strategiespielen und Wirtschaftssimulationen zu eigen ist, durch eine realistische Perspektive des Geschehens aus der ersten Person oder aus Sicht einer über die Schulter schauenden Verfolgerkamera abgelöst, die den Spieler als Akteur mitten in das Geschehen hinein versetzt – eben als Ego-Shooter, als „Ich, der Schütze“. Als Spieler dieser Spiele sehen Sie sich selbst unmittelbar zu, wie sie Schwerter und Kettensägen schwingen oder Maschinengewehre und Raketenwerfer bedienen. Was diese Waffen anrichten, sehen Sie dann aus der gleichen Perspektive plastisch und in allen erdenklichen Einzelheiten. Stellen sie sich also eine hinsichtlich der Auswirkungen physischer Gewalt realistische Darstellung vor und stellen Sie sich sich selbst als Akteurin mittendrin vor.

Etwa hier, im Ego-Shooter „Counterstrike“
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Oder hier, im derzeitigen Gipfel der Gewaltdarstellung, dem Ego-Shooter „Doom 3“, bei dem ich besonders die Horror-Elemente und die detaillierte Darstellung zu beachten bitte – ein vom Spieler geführter Flammenwerfer zeitigt äußerst realistische Resultate in Hinishct auf Flammen, Blut und versengter Haut:

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Sind gewaltorientierte Spiele der gezeigten Art aber auch in nennenswerter Zahl im Umlauf?

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Spiele, bei denen die Gewaltanwendung im Vordergrund steht sind in dieser Tabelle: „Half-Life 2“ (das in Deutschland nur in einer entschärften Version nicht indziert ist), „C&C Generäle“, „Schlacht um Mittelerde“ und „CS Condition Zero“. Bei dieser Hitliste muss man beachten, dass auf ihr keine indizierten Spiele auftauchen dürfen. Indizierte Spiele, sind Spiele, die nicht an Kinder und Jugendliche verkauft werden dürfen, die aber auch in der Öffentlichkeit in keiner Weise beworben werden dürfen. Und das Erscheinen in einer Hitparade ist natürlich Werbung. Von den oben gezeigten Beispielen steht das Spiel „Doom“ auf dem Index. Es ist also unklar, in welchem Ausmaß indexierte Spiele im Umlauf sind.

Haben Kinder und Jugendliche aber Kontakt zu derartigen Spielen?

Eine ganze Reihe der Spiele mit besonders ausgeprägter Gewaltdarstellung sind den jungen Leuten auf legale Weise ja gar nicht zugänglich. Zu dieser Frage gibt es zumindest Ergebnisse aus den Befragungen von Jugendlichen. In der schon erwähnten Studie JIM 2004 war dies nämlich auch ein Thema. Zwar wurde von den eben vorgestellten Bildern nur das Spiel Counterstrike erfragt, die Ergebnisse sind aber übertragbar, da die Bilder ebenfalls austauschbar sind.

Auch bei der Frage nach dem Bekanntheitsgrad von Computerspielen ergibt sich übrigens eine eklatante Kluft zwischen Jungen und Mädchen, die zeigt, dass Jungs sehr viel interessierter an Spielen mit im Vordergrund stehender Gewalt sind:

Die Grafik spricht für sich, oder?

Welche Auswirkungen hat die Gewaltdarstellung in Medien und besonders dem Computer nun aber? In der Medienwissenschaft findet die Diskussion der Darstellung von Gewalt zwischen den Polen des Beruhigtseins und des Alarmismus statt. Die beruhigende Sichtweise geht davon aus, dass die Rezipienten die Darstellung von Gewalt schon realistisch als Information (Gewalt in Nachrichten) oder Unterhaltung (Gewalt in fiktionalen Medienangeboten) einschätzen könnten. Die alarmistische Haltung besagt, dass die Darstellung von Gewalt in den Medien zur Gewaltausübung im realen Leben anregt oder sie gar auslöst. Das gesamte dazwischen liegende Meinungsspektrum wird je nach Diskussionsteilnehmer unter Umständen ebenfalls vertreten. Außerdem wird die Diskussion geführt, ob Gewaltdarstellungen in den Medien eine aggressionsfördernde oder eine aggressionshemmende Wirkung haben. Als aggressionsfördernd wird zum einen eine stimulierende Wirkung von Gewaltdarstellungen angenommen, die es erleichtert, die Hemmschwelle zur Gewaltanwendung zu überwinden. Zum anderen aber wird die Position vertreten, dass Gewaltdarstellungen es ermöglichen sollen, eigene Aggressionen durch das Betrachten (oder das Durchspielen) symbolisch abzureagieren. Teilweise wird auch davon ausgegangen, dass Gewaltdarstellungen, die Mediennutzenden zur Identifikation mit dem Opfer der Gewalt veranlassen und dass so durch die „Erfahrung“ von Leid Agression gehemmt wird. Die Diskussion kann auch heute noch nicht als entschieden angesehen werden. Die neueren Ergebnisse von Studien zu Gewalt in Medien weisen jedoch eher in die Richtung, dass die Thesen zur Aggressionshemmung nicht nachgewiesen werden können , während es für die Thesen zur Agressionsförderung und Hemmschwellensenkung trotz größerer Plausibilität unbewiesen ist.

Die Studien, auf die ich mich bei den eben gemachten Aussagen beziehe, behandeln jedoch in den wenigsten Fällen allein die Computerspiele. Vielmehr werden Film und Fernsehen oftmals allein und vielfach zusammen mit Gewaltexposition am Computer untersucht. Die dabei jetzt tendenziell zum Vorschein kommenden Ergebnisse, dass doch eine gewisse Aggressionsförderung und besonders eine Gewöhnung an Gewalt und ihre Auswirkungen besteht, lassen annehmen, dass diese Wirkung im Falle der Computerspiele deutlich verstärkt werden könnte. Die angesprochene Rollenübernahme und der Effekt, dass der Spieler virtuell selbst gewalttätig werden muss, um Aufgaben und Probleme zu lösen, dürfte einen stärkeren Gewöhnungseffekt haben als das bloße anschauen von anderen Menschen, die Gewalt verüben.

4. Praktische Tipps und Anregungen

Wenn über Gewalt und Computerspiele diskutiert wird, stehen schnell die Erinnerungen an die Schulmassaker in Littleton und Erfurt im Raum, bei denen Dutzende von Schülerinnen und Schülern, Lehrerinnen und Lehrern von drei jungen Männern getötet wurden. Soweit man so etwas wissen kann hatten die Täter gemein, einen sehr großen Teil ihrer Freizeit mit gewalttätigen Computerspielen der Art verbracht zu haben, die Sie gerade kennen gelernt haben. Das aber sind erstens extreme Einzelfälle und zweitens gestattet die Aufarbeitung der Lebensläufe von Robert Steinhäuser, Dylan Klebold und Eric Harris die Aussage, dass die Verrohung durch übermäßig gewalttätiges Computerspielen vielleicht die Vorgehensweise ‚inspiriert‘ hat, dass aber das auslösende Moment für die Tragödien in einem Gemisch aus sozialer Vereinsamung, mangelndem Selbstwertgefühl, der Erfahrung von wiederholten Niederlagen, der Erfahrung von Gewalt als Opfer und den verschiedenen Spielarten emotionaler Vernachlässigung wurzelt. Dementsprechend dürfte der wichtigere Punkt der Prävention eher aus Maßnahmen zur Einbindung abseits stehender Kinder und Jugendlicher, aus positiver Stärkung in Familie, Schule, Vereinen und der Nachbarschaft und einem Bündel aus seelsorgerischen, psychologischen und sozialpädagogischen Hilfsangeboten bestehen als darin, die Schuld für derartige Katastrophen allein den Medien und dem Computer im Besonderen zuzumessen.

Die primäre potenzielle Gefahr von Gewalt in Computerspielen besteht jedoch meines Erachtens nicht in der wie auch immer gearteten Teilhabe an drei, vier tragischen Einzelfällen, sondern in der Beeinflussung des Bewusstseins und Unterbewusstseins durch Gewöhnung an Gewalt als Unterhaltungsform und einzig adäquates Problemlösungsmittel.

Doch wie geht man angesichts der Attraktivität von Computerspielen mit diesem Problem um? Verbieten ist natürlich eine Option. Aber für Kinder und Jugendliche sind die Gleichaltrigen eine ebenso einflussreiche Personengruppe wie die Familie. Wie also damit umgehen, dass die anderen alles Mögliche spielen. Wie damit umgehen, dass die Kinder im Verbotsfalle nicht mehr mitreden können? Das kann in allen Altersgruppen bis zum Ausschluss aus dem Freundeskreis führen und seinerseits schwere Schäden anrichten. Und selbst wenn man erfolgreich und schadensfrei verbietet, so sind die Kontakte zu Computerspielen aller Art außerhalb des Haushalts nicht vermeidbar.

Die Diskussion ergab im Wesentlichen, dass Verbieten als Option nur in wirklich nicht erträglichen Fällen eingesetz werden sollte. Viel wichtiger ist, darin stimmten die Diskutirenden mit mir überein, dass Eltern sich unaufdringlich aber ständig für die Freizeitbeschäftigungen ihrer Kinder interessieren sollten. Dazu gehört bei diesem Thema dann, sich mit den Spielen der Kinder vertraut zu machen, sie sich vorführen zu lassen und dann darüber zu reden. Bei langanhaltendem Spielverhalten ist es wichtig, den Kindern und Jugendlichen immer wieder Alternativen zu der Beschäftigung mit dem Computer aufzuzeigen. Und noch ein Trost: Ruhe bewahren. Nach Aussage aller Eltern, die ältere Kinder haben ist das Computerspielen, auch in exzessiver Form, eine vorübergehende Erscheinung, die Kinder als ältere Jugendliche in der Regel hinter sich lassen.


Literatur:

Fritz, Jürgen (o.J.): Was unter Computerspielen verstanden wird. In: Search & Play, Onlinedatenbank der Bundeszentrale für politische Bildung. URL: http://snp.bpb.de/referate/fritzver.htm, zit. am 7.6.2005.

Theunert, Helga (1987): Gewalt in den Medien. Gewalt in der Realität. Gesellschaftliche Zusammenhänge und pädagogisches Handeln. Opladen: Leske & Budrich.

Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (Hrsg.) (2003): KIM-Studie 2003. Kinder und Medien – Computer und Internet. Basisuntersuchung zum Medienumgang 6- bis 13-Jähriger. [WWW-Dokument, URL: www.mpfs.de]

Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (Hrsg.) (2004): JIM-Studie 2004. Jugend, Information, (Multi-)Media. Basisuntersuchung zum Medienumgang 12- bis 19-Jähriger. [WWW-Dokument, URL: www.mpfs.de]
Nützliches aus dem Internet:

Die Spieledatenbank Search & Play plus:
Ein interessantes Projekt zur Beurteilung von Computerspielen einerseits durch Pädagogen andererseits aber auch durch Kinder und Jugendliche. Unter http://snp.bpb.de/ findet sich eine Datenbank zu Computerspielen. Von besonderem Interesse sind oft die Kommentare der Spielerinnen und Spieler im Vergleich zu den pädagogischen Bewertungen. Ein Beispiel dafür, was Sie dabei (auch) erwarten kann: „Besonderen spass macht das Spiel jedoch im Multiplayer modus. es macht einfach spass seinen kumpel in eine unbeschreibbare Masse zu zerschiessen, oder in mit kugeln vollzu pumpen und zuzusehen wie er stirbt“ (Zitat aus Search & Play, Spieler unbekannten Alters). Neben der Datenbank findet sich hier auch ein Forum für Eltern und Pädagogen und es besteht die Möglichkeit, eigene Bewertungen abzugeben.

Bundeszentrale für politische Bildung:
Unter http://www.bpb.de/publikationen finden sich im Bereich „Arbeitsmaterialien Medien“ hochwertige Publikationen in Printform oder auf CD/DVD, teilweise in Verbindung mit Aktualisierungen über das Internet, die das Thema verständlich und mit Praxisbezug darstellen. n.
Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest:
Unter der Internetadresse www.mpfs.de sind unter dem Unterpunkt „Studien“ die meisten der Forschungsberichte, auf jeden Fall die beiden allgemeinen Mediennutzungsstudien „Kinder und Medien“ und „Jugendliche und Medien“, downloadbar oder per Post für Portokosten bestellbar.
Empfehlenswerte Literatur:

Medienpädagogik „Computerspiele“, von Jürgen Fritz, CD-ROM, deren wichtigste Informationen zudem im umfangreichen Begleitheft abgedruckt sind. 4 €, bestellbar über die Bundeszentrale (s. Link oben).

Computerspiele zwischen Faszination und Gewalt, Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.). Das schon etwas ältere Buch von 1997 berührt natürlich nicht die aktuellen Computerspiele, die Aussagen über diese Spiele sind jedoch weitgehend auch für moderne Spiele gültig (allenfalls sind sie angesichts der fortgeschrittenen Technik 1997 noch zu schwach formuliert worden). Kostenfrei (bis auf das Porto) bestellbar unter dem oben angegebenen Link der Bundeszentrale.