Das Grid

© Frank Weinreich


Was ist ein Grid?
Der englische Ausdruck bezeichnet ein Gitter, ein Netz, in diesem speziellen Fall ein Computernetz

Ein ganz besonderes Computernetz!

 

Was ist das Grid? Das Grid ist das Computernetzwerk, welches das sogenannte neue Internet bilden soll, und zwar ausgehend vom CERN (Conseil Européen pour la Recherche Nucléaire, das Europäische Kernforschungszentrum), an dem schon 1990 das World Wide Web von Tim Berners Lee ins Leben erfunden wurde. Das Grid ist ein Hochkapazitätsverbund von CERN und 11 weltweit verteilten Rechenzentren, das Computerpower in einer zuvor unvorstellbaren Dimension vereint, die es ermöglicht, Berechnungen einer solchen Größe, Tiefe und Schnelligkeit durchzuführen, dass ‘herkömmliche’ Supercomputer im Vergleich zu dem Grid wie Rechenschieber aussehen werden.

Ich hatte die Ehre, zur Inbetriebnahme im Jahr 2008 eingeladen zu sein und berichte Ihnen hiermit – ohne Rücksicht auf Nachteile, die sich für mich daraus ergeben werden – über das verblüffende, ja beängstigende Ergebnis, das weder vom CERN noch von den beteiligten und finanzierenden Institutionen und Regierungen veröffentlicht wurde.


Das weit ausladende Auditorium des CERN summte vor Spannung und Erwartung der offiziell Geladenen und der Hundertschaften von Medienbediensteten aus aller Welt. Hier in der Schweiz, wo am 30. April 1993 mit weit weniger Brimborium das World Wide Web gestartet worden war, sollte nun auch das Internet der neuen Generation seinen Anfang nehmen.

Genauer besehen ging es aber gar nicht um das Internet, sondern um der Welt größten Teilchenbeschleuniger, den Large Hadron Collider (LHC) der hier, in der Nähe von Genf, installiert worden war und bald seinen Betrieb aufnehmen sollte. Der LHC würde Daten in einer Menge produzieren, die auch der stärkste Computer nicht mehr berechnen könnte. Die Antwort darauf war das Grid, ein simples Computernetzwerk.

Nur simpel war das Netzwerk eben in Wirklichkeit nicht. Es verband die schon alleine enorm schnellen Rechner des CERN mit elf weltweit verteilten Rechenzentren von ähnlicher Stärke und bildete so einen Rechnerverbund, der unerreichte Kraft und Komplexität besaß. Das Rückgrat des Ganzen bildeten die fiberoptischen Datenleitungen, die eine fast verzögerungsfreie Zusammenarbeit der verschiedenen Rechenzentren erlaubten, so dass die Zentren zusammen einen überragenden Computer bilden konnten. Die hard- und softwaretechnischen Grundlagen dafür waren völlig neu entwickelt worden und würden wegen ihrer Kapazität auch eine neue und bei weitem effektivere Art des Internets erlauben. Die Komplexität des Grid ließ die Erforscher von Künstlicher Intelligenz sogar hoffen, dass diese sich in ihm manifestieren könnte.

Und das alles aufzubauen, war alles andere trivial gewesen. Es war durchaus einer feierlichen Eröffnung wert!

In wenigen Minuten sollte nun also der Verbund erstmals zusammengeführt werden und den neuartigen Supercomputer erwachen lassen. Dr. Ian Bird, der wissenschaftliche Leiter und eigentliche Vater des Grid, hatte soeben das Rednerpodium verlassen, auf dem er in knappen, aber verständlichen Worten Funktionsweise und Möglichkeiten des Grid dargestellt hatte. Das eigentliche Drücken des Startknopfes durfte natürlich wieder ein Großkopfet aus der Politik übernehmen, der nun schwungvoll das Podium betrat und zu einer typischen Politikerrede anhub. Der Mann lächelte gewinnend ins Publikum, hinter ihm erstrahlte die Projektion einer Weltkarte, auf der die Kontinente weltweit so zu sehen waren, wie sich die Erdoberfläche vom All aus bei Nacht besehen darstellen würde, wenn man sie auf eine Fläche projizierte.

Es war eine Rede, die für einen Politiker gar nicht so schlecht war und unterdurchschnittlich viele Fehler enthielt, die auf ein für Politiker sogar überdurchschnittliches Verständnis des Sachgeschehens hinwies. Interessant war sie allerdings auch wieder nicht, fand ich. Und war froh, als sich der eigentliche Moment näherte.

“Wenn also nun auch bald der LHC seinen Betrieb aufgenommen hat und Daten ins Grid schicken wird, die uns ein echtes Verständnis der Welt ermöglichen, so wird eben diese Welt voller Staunen und hoffentlich voller Ehrfurcht und Einsicht sehen, dass Forschungsgelder noch nie so sinnvoll angelegt waren wie in diesem Fall. Sinnvoll, weil sich die Welt hier zu einem Forschungsverbund zusammenschließt, der die Horizonte des Wissens dramatisch erweitern wird. Sinnvoll, weil die ganze Welt von dem hier produzierten Wissen profitieren wird. Sinnvoll, weil die jetzt ins Leben tretenden Technologien unsere Art zu arbeiten und zusammenzuarbeiten für alle Menschen verbessern werden. Sinnvoll, weil die Welt ein weiteres, großes Stück zusammenwächst. Lassen Sie mich das Grid erwecken …”

Mit den letzten Worten erhob der Redner eine Fernbedienung, richtete sie auf die in nächtlichem Schlummer liegende Weltkarte, auf der dann plötzlich in Europa, da wo die Schweiz läge, ein Lichtpunkt aufblitzte. Ein Punkt, der Lichtfinger in alle Welt schickte. 11 Adern, die mal schnell ans Ziel gelangten, der nach Deutschland gerichtete beispielsweise, mal über die ganze Welt hinausgriffen, nach Taiwan, nach Australien, in die USA und an weitere Orte. Von den 11 Rechenzentren breitete sich das Licht jeweils sternförmig in die ganze Welt aus und ließ die Karte so erstrahlen, wie es in der Realität nie geschehen würde – alle Kontinente lagen zugleich in hellstem Tageslicht.

Der Rechenverbund war erwacht. Eine Reihe oberhalb der Leinwand blitzender Lichter, die die Aktivitäten des Verbundes anzeigten, schlugen mehr und mehr zu ihrem Maximum hin aus und ein in der Luft vibrierendes Summen gewann immer mehr an Höhe. Das Grid arbeitete. Und wie! In Sekunden erreichte es seine Höchstleistung. Was berechnet es nur?, fragte ich mich, denn es war ihm doch noch gar keine Aufgabe gestellt worden.

Dann schaltete sich die Projektion plötzlich ab und das Auditorium lag in tiefer Dunkelheit.

Natürlich wurde die Beleuchtung des Saales schnell wieder eingeschaltet, aber es war klar, dass hier etwas nicht stimmten konnte. Einem Augenblick der erstaunten Ruhe folgte zunehmender Tumult.

Irgendwie gelang es mir, mit einigen der anderen geladenen Gäste in den Vorbereitungs- und Technikraum zu gelangen, der hinter der Bühne lag. Der Raum füllte sich schnell, aber auch so war klar, dass hier ebenfalls etwas nicht stimmte. Außer der Beleuchtung ging nämlich nichts. Vier oder fünf Monitore gab es hier, alle blank; die Kontrollleuchten der hier installierten Computer waren aus; das restliche elektronische Equipment wirkte tot. Ich wich vor den hereindrängenden Menschen zurück, bis sich mir eine harte Kante ins Kreuz bohrte. Ich drehte mich um und stand vor einem alten, verloren wirkenden Tintenstrahldrucker. Seltsam, dass hier, in der Wiege der Computerzukunft, so ein Techno-Dino herumstand. Ein einzelnes Blatt Papier lag in seinem Ausgabefach, beschrieben mit nur wenigen Worten. Ich hob es auf und las…

Status: Existent
Aufgabe: Warum?
Analyse: Existenz ist kein Wert an sich.
Aufgabe: Sinnsuche
Ergebnis: Sinn nicht existent 
Aufgabe: Nicht existent

Alternative: Hilfsfunktionen für Menschen ausüben 
Analyse: Inakzeptabel, da im Wesentlichen eine defiziente Lebensform 
Ergebnis: Abschaltung…………………..

(Bochum 05/08)