Im Sommer 2001 fragte mich eine Besucherin dieser Seiten:
“Was mich aber am meisten interessiert ist, um was es genau geht beim Herr der Ringe?”
Ich antwortete Ihr:
Hallo,
schön, dass Du dich fuer den Herrn der Ringe interessierst.
Du schriebst: > Was mich aber am meisten interessiert ist, um was es genau geht beim Herr der Ringe.
Da Du auch schreibst, dass Du dich schon länger mit der Geschichte beschaeftigst, nehme ich an, dass Du mit der Frage nicht den Inhalt meinst, sondern wissen willst, was die Geschichte ueberhaupt soll, warum Tolkien sie erzählt und was damit ausgesagt werden soll.
Was die Geschichte soll?
Sie soll unterhalten. Auf meiner Webseite findest Du auch einen kleinen Aufsatz darueber, was Tolkien in Märchen sah. Märchen – und der Herr der Ringe ist ein Märchen, das T. bewusst in die Tradition der klassischen Sagen stellte – sind fantastische Ausfluege aus unserer nüchternen Welt. Man kann den Zwecke des Herrn der Ringe salopp als Urlaub im Phantastischen bezeichnen.
Warum Tolkien die Geschichte erzählt? Das ist etwas komplexer.
Erstens war T. Literatur- und Sprachwissenschaftler – seine Liebe galt den sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten, über die wir Menschen verfuegen. Von Kindesbeinen an erfand T. Worte, später ganze Sprachen und Grammatiken. Um die Sprachen, ihre Worte und Lautmalereien herum erfand er wiederum Geschichten, die den Sprachen zusätzliche Plausibilität verliehen und den Charakter der Sprachen erklären (so unterscheiden sich die Sprachen von Elfen und Zwergen im HdR lautmalerisch sehr – Elfen leicht und luftig, Zwerge erdig-schwer: z.B. der Eigenname Laurelindórinan gegenueber dem Eigennamen Khazad-Dhûm). Die Sprachen waren der Anstoss fuer die Geschichten.
Zweitens empfand T., dass England – und er war ein ausgepraegter britischer Patriot – gegenüber allen anderen europaeischen Laendern mit ihrem reichen Sagenschatz etwas fehlte. Er hat einmal ausdrücklich gesagt, dass der HdR eine britische Sagendichtung sein soll.
Drittens verspürte T. einen gewissen Drang, die Geschichte zu erzählen. Mittelerde -die Welt in der der HdR spielt -entstand ursprünglich aus dem kleinen Hobbit, einem Märchen, das T. für seine Kinder erfand. Die ganzen komplexen Folgen, die im Hobbit ihren Anfang nahmen und die Historie, die ihm vorgeschaltet ist, fühlte T. in sich angelegt. Er sah sich sozusagen verpflichtet, sie aus sich raus zu lassen und zu erzählen (Was davon stimmt? Geht das überhaupt, das Geschichten einfach da sind? Wer weiss? Aber zumindest war es nicht der kommerzielle Erfolg, der stellte sich erst viel später ein und T. war nie wirklich reich an Geld).
Das sind drei psychologische Gründe, warum T. die Buecher schrieb. Wichtig ist auch hier wieder, dass der HdR nicht entstand, um eine Botschaft zu transportieren. Erst recht ist der HdR keine Allegorie auf Kommunismus, Faschismus, Kapitalismus oder ähnliches.
Was damit ausgesagt werden soll? Tauche ein und erlebe! Mehr nicht! Ich verweise nochmal auf seine Einstellungen gegenueber Märchen. Es ist keine allegorische Geschichte. Das gilt auch an den Punkten, wo sich Verbindungen zu unserer Welt nicht leugnen lassen. Dass das Böse in einem industriell-umweltzerstörerischen Gewand daherkommt, liegt daran, dass T. das Böse eben so charakterisiert, wie er es erlebt. Er beschreibt als böse, wovor er selbst und hier Angst hat. Und das war in der Tat die moderne Industrialisierung. Eine weitere Verbindung ist die zum christlichen Glauben.
Die gesamte Mythologie von Mittelerde ist an irdische Mythologien angelehnt und wird vom christlichen Schoepfungsmythos überragt. T. war eben ein sehr gläubiger Mensch. Wenn er also das Gute beschreibt, ist es nur natuerlich, dass dies Gute dem ähnelt, an das er selbst glaubt. Trotzdem hat T. selbst betont, dass diese Parallelen zwar existieren, er sie aber nicht bewusst als Botschaft eingebaut hat. Das finde ich auch überzeugend, denn jeder Autor kann nur vor dem Hintergrund schreiben, in dem er lebt. Also existieren Parallelen selbst da, wo sie nicht Elemente der Erzählung sind.
Worum es also im HdR geht? Um eine spannendes Epos in einer so durchdacht erfundenen Welt, dass es wirklich gelingt, in sie und die Geschichte einzutauchen. Solltest Du schon einige Fantasygeschichten kennen, so wirst Du dich vielleicht fragen, was denn der ganze Hype soll. Solche Geschichten gibt es doch mittlerweile zuhauf. Ja, stimmt schon. Aber kaum eine ist so überzeugend durchdacht, kaum eine Welt so reich und detailliert erfunden. Ausserdem ist es die erste Geschichte ihrer Art (warum, das steht in dem Aufsatz: “Das neue Element in der Fantasy” auf meiner Homepage). Die anderen Geschichten sind machmal nur von ihr abgeschrieben und lehnen sich oftmals zumindest stark an T. an.
Aber wie dem auch sei, für mich steht fest, dass es – im mindesten was die ‘Schreibe’ angeht – so schnell keine schönere und reichhaltigere Erzählung gibt.
Also, viel Spass mit dem HdR in Buch und Film. Lies aber zuerst die Buecher (am besten beginnend mit dem kleinen Hobbit, dann den HdR und bei Interesse dann das Silmarillion).
Die Bücher erzählen ihre Geschichte in Worten – der Film in Bildern. Das ist etwas qualitativ anderes. Wenn der Film erst einmal die Bilder in den Kopf gesetzt hat, ist damit meiner Meinung nach viel vom Lesevergnügen verloren.
ciao
Frank
(Bochum, 05/01)