Tolkien in der Kritik
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Zu Beginn der Diskussion hatte ich darum gebeten, in fünf Minuten spontan aufzuschreiben, was einer Jeden/ einem Jeden so zu den Vorwürfen gegen Tolkien einfällt. Zu dem Zweck hatte ich Karteikarten ausgeteilt und deren Ergebnisse auch in den Text „Tolkien in der Kritik“, von dem aus Du hierher gesprungen sein muesstest, eingearbeitet. Ich denke jedoch, dass die Aussagen unverfälscht durch meine interpretierende Brille nachzulesen sein müssen. Deshalb findest Du hier die Originalaussagen (orthographische Fehler gehen auf meine Kappe), ohne Änderungen und nur sortiert nach politisch motivierter und literarischer Kritik. Vielen Kommentaren stimme ich zu, einige Sachverhalte beurteile ich anders. Aufgeführt sind hier aber ausnahmslos alle und ich kommentiere sie auch nicht wiederum selbst.
Politische Kritik
“ HdR ist Fantasy – und da sind faschistische oder rassistische Vorwürfe inhaltslos, da es sich eben nicht um Realität handelt.
Tolkien selbst hat allegorische Bezüge strikt abgelehnt – folgen wir ihm dabei und und nehmen HdR einfach als das, was es ist, ein faszinierendes Buch.“
„-möglicher Kritikpunkt: Darstellung von Ostlingen und Haradrim als ’niedere‘ Menschen > Eventuell wurde Tolkien in seiner Kindheit durch das Leben in der Apartheid von Südafrika beeinflusst?“
„Rassismus*: Tolkien beschreibt Rassismus (Beispiel: Thingol, auch: ‚hohe‘ Menschen), er vertritt ihn nicht. Seiner Zeit und Sozialisation gemäß vertritt er allerdings Abstammungslehren / Blutbewertung (Königtum, Erbe der Dunedain …). Dies entspricht allerdings auch der geschaffenen Welt / Zivilisation: Solche Vorstellungen der Blutsbande waren (sind) bei uns noch noch bis ins 20. Jahrhundert verbreitet.
*Rassismus greift eigentlich nicht, da z.B. Elben und Menschen keine Rassen sind.
Faschismus: Sehe keinerlei Anhaltspunkt!
Paternalismus / Frauenbild: Tolkien war ein Kind seiner Zeit deshalb hat er nur wenige starke, ‚emanzipierte‘ Frauen. Dies entspricht aber zumindest zum teil auch der beschriebenen Welt.“
„Eine reine Männerwelt, die Frauen kommen zu kurz und sind viel zu brav (was sich natürlich aus der Zeit erklärt, in der er geschrieben wurde und durch die konservative Grundhaltung des Autors).“
„- faschistisch: Demokratie im Shire
– rassistisch: Frodo trägt kein besonderes Blut“
„Das in Tolkiens Werken vermittelte Weltbild ist klar: Schwarz – Weiß*. Ich persönlich kann es akzeptieren, wie es ist, ohne mich über Rassismus oder ‚Frauenfeindlichkeit‘ zu ärgern oder mich daran zu stören. Stören tue ich mich daran, dass andere = Kritiker immer etwas interpretieren wollen, einen Text bis auf den letzten Punkt zu sezieren, wenn der Autor nur eine Geschichte erzählen wollte.
*Trotzdem könnte man für die ‚böse‘ schwarze Seite (z.B. Boromir / Gollum) Sympathie empfinden.
Die Deutschen haben einen Faschismuskomplex!!! (Kann ich als Belgierin behaupten)“
Literaturkritik
„Der HdR ist ein Kinderbuch: Sicher nicht. Viel zu schwer verständlich für Kinder.
Niveaulos, flach? Sicher sind einige Charaktere recht flach (-unleserlich-), aber das entspricht der lit. Tradition des Heldenepos, in der der HdR steht. Ansonsten ist die Geschichte und die Sprache keineswegs niveaulos, sondern sehr ausgearbeitet.“
„Die Charakter sind stereotyp und es fehlt ihnen deshalb an Tiefe.
+ Das mag in Einzelfällen stimmen, wenn jedoch nur bei Nebenfiguren. Das ist jedoch teilweise auch erforderlich, da sie als Repräsentanten ihrer Rasse deren Haupteigenschaften ausdrücken sollen.
– Alle Hauptcharaktere lassen eine Entwicklung erkennen, die ihnen Tiefe verleiht“
„HdR = als Buch des Jahrhunderts/Jahrtausends gewählt – allein deshalb von erheblicher Relevanz – alles Andere ist Ignoranz. Im Gegensatz zum „Hobbit“ mit Sicherheit kein Kinderbuch.
HdR hat (obwohl parallel bzw. später als R. Howard / Conan oder Fritz Leiber / Mausling & Co) das gesamte Genre Fantasy erst (wie einen Ring) ins Rollen gebracht.“
„Tolkiens Werke sind anregend. Sie versetzen Einen in eine andere Welt, in der es sich gut leben lässt.
Tolkien (als Professor) macht einem deutlich, dass Träume und Fantasie nichts Verwerfliches oder Gefährliches sind, -unleserlich- schon wichtig, um mit dem Alltag zurecht zu kommen.
Man sieht Tolkiens Werken an, wie viel Mühe er sich mit ihnen gemacht hat, trotz der kleinen Unstimmigkeiten.“
„- niveaulos, flach. Ist nicht der Fall, da ich viel Fantasy lese (Wolfgang Hohlbein, Marion Zimmer Bradley, Wüstenplanet, Helmut Pesch, Bücher Zaubermond-Verlag usw.), kann man sehr gut zwischen niveaulos/flach und ansprechender Literatur unterscheiden. Der HdR ist meiner Meinung nach ein Buch mit hohem Niveau.
– nur ein Kinderbuch. Der HdR ist kein Kinderbuch, ich selber habe das Buch als 15-Jähriger das erste mal in einer Bücherei ausgeliehen und innerhalb einer Woche gelesen. Und Anfang der Neunziger dann den Jubiläums-Schuber gekauft und mit der selben Faszination gelesen. Und werde das auch immer wieder tun. Auch mit Fünfzig!“
„-der Schreibstil ist gewöhnungsbedürftig und hält dadurch Viele erstmal davon ab, die Bücher zu Ende zu lesen.“
„-Problem des Eskapismus > Menschen, die nicht fähig sind, die Werte und Philosophie des HdR ins echte Leben zu übertragen, verlieren sich in Traumwelten und wenden sich von der Verbesserung d. Realität ab.“
„- noch ein Vorwurf: eskapistisch. Man versinkt in einer Fantasywelt und verliert den Bezug zur Realität. Aber: Fast jedes literarische Werk verlangt, dass sich der Leser etwas ‚fallenlässt‘
– »The willing suspension of disbelief« (Coleridge)
– »Welchen Leser ich wünsche […] den, der im Buche nur lebt« (Goethe)
– Kinderbuch/Niveau. Dafür viel zu subtile Themen (Andeutungen), Gesellschaftsformen – totalitär (Sauron), feudal (Gondor), demokratisch (Shire)“
Burg Hohensolms im Februar 2002