Eine Grammatik der Ethik.
Die Aktualität der moralischen Dimension
in J. R. R. Tolkiens literarischem Werk.

von Thomas Honegger, Andrew J. Johnston, Friedhelm Schneidewind, Frank Weinreich


 

Ein erklärendes Wort noch zum Charakter des Buches:

Dieses Buch ist kein typischer Sammelband, sondern enthält aufeinander abgestimmte, miteinander abgesprochene und in enger Kooperation von uns vier Autoren verfasste Texte.

Die behandelten Themen stehen jedoch unter der Verantwortung ihres jeweiligen Autors und sind deshalb namentlich im nebenstehenden Inhaltsverzeichnis aufgeführt.

Stein und Baum

Edition Stein und Baum

Die Autoren sind allesamt anerkannte Kenner der Werke Tolkiens, die sich durch vielfache Vorträge und Publikationen einen Platz in der Tolkienforschung erworben haben.

  • Thomas Honegger ist Professor für Mediävistik in Jena und Herausgeber von Walking Tree Publishers, Hither Shore und der Edition Stein und Baum.
  • Andrew Johnston ist Professor für Anglistik und Amerikanistik an der Humboldt Universität Berlin.
  • Friedhelm Schneidewind ist freier Autor und Verleger. In Tolkienkreisen ist er vor allem durch sein “Großes Tolkien-Lexikon und dutzende von Vorträgen und Artikeln bekannt.
  • Mich kennst du von dieser Site hier.

Damit Du weißt, was Dich in dem Buch erwartet, habe ich neben dem Inhaltsverzeichnis die Einleitung in das Buch hier hingestellt:

„Moral/Ethik ist ein beherrschendes Thema in der Mittelerdedichtung, was schon der Blick in die Sekundärliteratur zeigt (hierzu unser Forschungs-/Literaturüberblick). Anders als dort aber häufig behauptet, findet sich in Tolkiens Werk ein geradezu modernes und sehr humanes Verständnis von Ethik wieder. Allerdings wird die Sekundärliteratur oftmals als Propaganda geschrieben, d. h. Tolkien wird instrumentalisiert, indem er von verschiedenen – vor allem religiösen Gruppierungen – als Kronzeuge für ihre Überzeugungen in Anspruch genommen wird. Das fiktionale Werk Tolkiens ist keineswegs reine Unterhaltung oder Realitätsflucht, sondern zeitigt – oftmals wohl entgegen allen Wünschen des Autors – direkte Wirkung in der ersten Welt (»Beispiele der Instrumentalisierung von Mittelerde«).

Wir zeigen an drei Themenkreisen auf, wie in Tolkiens Werk ethische Überzeugungen vertreten und Probleme verhandelt werden.

Am Beispiel von Personen und Personengruppen bestimmter Gruppenzugehörigkeit/ Rasse/Herkunft (»Biologie, Abstammung und Herkunft«) wird die Frage untersucht, inwieweit einzelnen Wesen Gut und Böse aufgrund ihrer Rasse/Spezies/Herkunft zugeschrieben werden, inwieweit Tolkien diese Zuschreibungen explizit und implizit niederlegt bzw. verdeutlicht und wo und wie weit er diese Zuschreibungen wieder bricht und damit ein komplexeres Gefüge auf baut.

Anhand des Zusammenhangs zwischen »Gutheit« und »Schönheit« bzw. »Bosheit« und »Hässlichkeit« verweisen wir auf die Ähnlichkeit mit und die Abweichung von mittelalterlichen Vorstellungen (»Zur Phänomenologie von Gut und Böse«), entwickeln eine Typologie von gut, böse, schön und hässlich und zeigen die Problematik »Äußeres vs. Inneres« auf: Wie weit spiegelt der Phänotyp moralische Kategorien wider? Was sind die Grundlagen für eine solche »moralische Ästhetik« bzw. »ästhetische Moral«, die sich scheinbar rein auf Äußerlichkeiten abstützt? Und was ist ihre Relevanz für das Werk Tolkiens?

An beispielhaften erzählerischen Mitteln wird Tolkiens Fähigkeit aufgezeigt, seiner mythographischen Fiktion eine entsprechende Form zu geben (»Ästhetische Strategien und ethische Vielfalt«). Wir zeigen, wie geschickt Tolkien sein erzählerisches Talent nutzt, um alternative ethische Standpunkte zumindest anzudeuten und sein Werk damit vor allzu simpler Vereinnahmung zu schützen.

Zusammenfassend stellen wir dar, dass in Mittelerde weltanschaulich weitestgehend neutrale und damit sehr moderne ethische Überzeugungen vertreten werden (»Ethos in Arda«), dass »Gut« und »Böse« hier auch aus areligiöser Sicht charakterisiert werden können: »Gut« als Freiheit, »Böse« als die Negation des Guten – in Anlehnung an die mehrheitlich geteilte Überzeugung in der modernen Ethik, dass sich Gut und Böse interkulturell so beschreiben lassen.

Bei unseren Betrachtungen beschränken wir uns auf die Werke Der Herr der Ringe, Der Hobbit, Das Silmarillion, Die Nachrichten aus Mittelerde sowie die Briefe. Die ersten beiden Werke erschienen so, wie Tolkien selbst es wollte (oder zumindest so, wie er es bei seinem Verleger durchsetzen konnte), und Das Silmarillion sollte nach seinem Willen als eigenes Werk verlegt werden. Auch wenn dieses Buch dann wohl etwas anders ausgesehen hätte, umfasst es doch im Wesentlichen, was Tolkien selbst veröffentlicht sehen wollte und was er für das Verständnis Mittelerdes für unverzichtbar hielt.

Hingegen lassen wir The History of Middle-earth als Sammlung nie zur Veröffentlichung bestimmter Texte bewusst außen vor.

Anders als der in der Sekundärliteratur häufig vorherrschende voreingenommene Blick auf die Moralität bei Tolkien vorgibt – sei dieser Blick nun propagandistisch motiviert oder von einer eingeschränkten Wahrnehmung der Person Tolkiens als Christ, Konservativer, Mann, Gelehrter oder Engländer abhängig –, findet sich in dieses Autors Werk ein geradezu modernes und sehr humanes Verständnis von Ethik – human, weil die anthropologischen Grundlagen des Mängelwesens Mensch – bzw. der menschenähnlichen Wesen, die Tolkien beschreibt – berücksichtigend.

Gerade dass ein (Fantasy-)Epos, in dessen erzählerischem Mittelpunkt der Konflikt von Gut und Böse steht, diesen Konflikt jenseits von klaren weltanschaulichen Zuordnungen darstellt, macht die Größe des Werkes aus, weil es eine ethisch akzeptable und affektiv ansprechende Rezeption durch Menschen mit ganz unterschiedlichem Hintergrund ermöglicht.

Vielleicht lässt sich auch gerade damit – über die Großartigkeit der erzählerischen Umsetzung und die immer wieder zu beobachtende Brechung von Stereotypen und (Rassen-)Vorurteilen hinaus – der über kulturelle Grenzen hinweg reichende Erfolg des Werkes begründen.“


Hier dann noch die Einleitung in das von mir allein verfasste Kapitel „Ethos in Arda“, in dem ich die Modernität und Allgemeingültigkeit der ethischen Postionen in Tolkiens Werk untersuche:

„Sieht man für die Lektüre dieses Abschnittes einmal von dem mehrfach geäußerten und viel diskutierten Wunsch Tolkiens ab, keinerlei allegorische Deutungen an sein fiktionales Werk heranzutragen1, so drängt sich bei der Betrachtung der Ethik in Der Herr der Ringe die christlich geprägte Biographie des Autors förmlich auf, und man wird automatisch auf den berühmten Satz aus einem Brief an Robert S. Murray verwiesen: »The Lord of the Rings is of course a fundamentally religious and Catholic work« (L No. 142, 172). »Natürlich« ist also Der Herr der Ringe ein religiöses und zudem ein explizit katholisches Werk. Da es zudem ein Werk ist, das vom Kampf von Gut gegen Böse berichtet, ist da dann nicht zu erwarten, dass der Konflikt aus christlich-katholischer Sicht dargestellt und gelöst wird? Und ist nicht auch zu erwarten, dass sich die guten wie die bösen Protagonisten illustrativ konform oder nonkonform christlicher ethischer Überzeugungen verhalten? Kann man die Annahmen nicht sogar noch weiter treiben und sagen, dass nicht nur die religiöse Überzeugung des Autors, sondern seine ganze Biographie Einfluss auf die Darstellung moralischer Handlungsweisen in Der Herr der Ringe nimmt? Dass also zu erwarten wäre, konservative und klassenbewusste Überzeugungen aus der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts im Werk vielfach widergespiegelt zu finden?

Genau das ist Tolkien zumindest immer wieder vorgeworfen worden. Ich argumentiere jedoch, dass in Der Herr der Ringe ungeachtet dieser Vorüberlegungen eine weltanschaulich neutrale Ethik zu entdecken ist. Ich nehme zudem an, dass der überwältigende Publikumserfolg von Der Herr der Ringe gerade auch dem Umstand geschuldet ist, dass Tolkien in seinem fiktionalen Hauptwerk eben keine spezifisch britische, konservative, gelehrte und der Oberschicht verhaftete sowie keine spezifisch christliche Ethik katholischer Prägung vertritt. Eine eingeschränkte und einschränkende Ethik, die in Abhängigkeit von einer fixen Überzeugung starre und mit starken weltanschaulichen Vorannahmen belastete Forderungen erhöbe, ist in Der Herr der Ringe nicht vorhanden. Statt dessen legt die genauere Analyse den Blick auf eine moderne Ethik frei, deren moralische Weisungen von jedem Menschen vernünftigerweise und unabhängig von seiner religiösen Weltanschauung unterschrieben werden können.“

Einleitungen in die anderen Kapitel und ein paar Informationen zur “Edition Stein und Baum” sind hier in einer Powerpointpräsentation zu finden. (2,9 MB!!!)


Das Buch ist ab dem 1. Juli 2005 für 20 € im Buchhandel bestellbar.

Eine Grammatik der Ethik. Die Aktualität der moralischen Dimension
in J. R. R. Tolkiens literarischem Werk.
von Thomas Honegger, Andrew J. Johnston, Friedhelm Schneidewind, Frank Weinreich
Edition Stein und Baum, Band 1. Saarbrücken: Verlag der Villa Fledermaus 2005.
ISBN 3–932683–11–0

Ach ja – noch was!

Etwas weitere Werbung in eigener Sache sei mir erlaubt. Falls Du dich für Ethik und das, was ich darüber zu sagen habe in besonderem Maße interessierst, dann könnte meine umfassende Studie zur Reichweite bzw. Verbindlichkeit ethischer Konzepte in der aktuellen Diskussion der Biotechnologien dich interessieren, die auch unabhängig von Fragen der Bioethik grundlegende Dinge zum Thema Ethik und Moral behandelt. Infos über dieses Buch finden Sie hier.